Interview ist ursprünglich im Blog von O'Reilly erschienen.
Ein Interview mit Nils Högsdal und Daniel Bartel
Vor einem Jahr veröffentlichten wir die deutsche Fassung des „Startup Owner’s Manual“: „Das Handbuch für Startups“, so der deutsche Titel, ist eine umfassende und äußerst praxisnahe Anleitung, wie man ein Startup gründet und betreibt, und zwar auf Basis des bewährten Lean-Ansatzes und des Customer Developments. Wir haben das US-Standardwerk für Gründer aber nicht einfach nur übersetzen, sondern von zwei Lean-Startup-Experten aus Deutschland fachlich begleiten und durch Cases aus dem deutschen Raum erweitern lassen. Was sie Gründern raten und warum sowohl die Lean-Startup-Methodik als auch das Buch für Gründer absolut hilfreich ist, verraten sie in diesem Interview.
oreillyblog: Was unterscheidet eigentlich ein Startup von einer „normalen“ Gründung – also dem Maschinenbauunternehmen, das vor Jahrzehnten in einer Familie entwickelt wurde oder dem Eiscafé von gegenüber?
Nils Högsdal: Das Eiscafé gegenüber kennt sein Geschäftsmodell. Es weiß, welche Kunden es haben wird, welche Sorten Eis es verkaufen wird und so weiter. Ein Startup, wie wir es verstehen, ist dagegen – um das Handbuch für Startups zu zitieren – eine temporäre Organisation, die ihr endgültiges Geschäftsmodell noch finden muss. Die schauen muss: „Was ist unsere Value Proposition? Wie können wir Geld verdienen? Können wir zum Beispiel Abogebühren verlangen oder sind wir werbefinanziert?“ – und so weiter. Das ist also ein riesiger Unterschied. Das eine ist eine Organisation, die ihr Geschäftsmodell schon hat und nur noch umsetzen muss. Das andere eine Organisation, die das Geschäftsmodell erst einmal suchen und finden muss.
Daniel Bartel: Dazu gehört auch die Suche nach dem Problem, das der Kunde oder die Kundengruppe hat. Es geht also immer um die Fragen: Was ist das Problem? Welche Kundensegmente gibt es? Wer ist mein Kunde, und was genau ist sein Bedürfnis? Und auf der anderen Seite: Was ist die passende Lösung, die ich daraus skalieren kann? Das sind zwei Eigenschaften von Startups, die eben innovativer sind. Beispielsweise ist auch ein Restaurant wie Vapiano eine Gründung – sicherlich genauso anstrengend zu vollziehen. Allerdings kenne ich das Geschäftsmodell, wenn ich eine neue Filiale einer Restaurantkette eröffne. Das ist bei Startups meistens nicht der Fall, weil sie sich in sehr innovativen und disruptiven Märkten bewegen.
oreillyblog: Das heißt, es sind also immer auch Geschäftsmodelle, die so noch nicht oder nur ein- oder zweimal weltweit existieren?
Nils Högsdal: Genau, und das ist ein wichtiger Aspekt: es kann durchaus sein, dass ein Geschäftsmodell in den USA funktioniert. Bei der Übertragung auf Deutschland muss man dann prüfen, welche Anpassungen etwa bezüglich gesetzlicher Rahmenbedingungen oder abweichenden Kundenverhaltens notwendig sind. Nehmen wir als Beispiel Mobilfunkverträge: Amerikaner haben schon seit jeher eine andere Bereitschaft zum Kauf von Handys.
oreillyblog: Hier spielen also auch kulturelle Unterschiede eine Rolle …
Nils Högsdal: Ja, oder am Beispiel Uber sind es rechtliche und kulturelle Unterschiede. Neben der anderen Regulierung sind die Amerikaner – gerade im Silicon Valley – eher bereit, ich etwas Neues einzulassen.
oreillyblog: Würden Sie sagen, dass der Mut zum Gründen in der heutigen Generation Y größer ist als etwa noch vor 20 Jahren oder auch 50 Jahren? Ist Entrepreneur sein heute Zeitgeist?
Nils Högsdal: Die heutige Generation ist sicher mehr darauf aus, etwas mit einem – wie man so schön auf Englisch sagt – „Meaning“ zu machen. Also etwas, das eine gewisse Bedeutung hat und einen Wertbeitrag bringt. Wenn diese Generation gründet, dann weniger um Geld zu verdienen, sondern um etwas Besonderes zu erreichen. Gleichzeitig sind die absoluten Zahlen von Gründungen gar nicht so bedeutsam, weil der Arbeitsmarkt sehr gut da steht. Wir verzeichnen derzeit weniger Gründungen aus einem Zwang wie der Arbeitslosigkeit heraus. Und mehr Gründungen von Leuten, die wirklich etwas bewegen wollen.
oreillyblog: Das sind also alles Überzeugungstäter. Dabei gibt es durchaus niederschmetternde Statistiken, nach denen 80 Prozent aller Startups scheitern, jede zweite Neugründung innerhalb von fünf Jahren insolvent ist. Warum und wann würden Sie dennoch zur Gründung raten?
Daniel Bartel: Für eine Gründung gibt es vielfältige Argumente, aber hauptsächlich dreht es sich immer um Markt und Kunde. Sprich, bediene ich den Markt und komme ich an den Kunden heran, kann ich den Vertrieb gewährleisten? Das Kernproblem ist: Zunächst sind wir immer sehr verliebt in unsere Ideen, immerhin sind wir ja die einzigen Säugetiere auf der Welt, die über eine gewisse Vorstellungskraft verfügen. Auf die dadurch entstehende Illusion, die Geschäftsidee, sind Gründer sehr stark fixiert. Üblicherweise gehen sie dann aber den klassischen Weg, den man aus der BWL kennt: sie gründen eine Firma, wählen eine Rechtsform, laufen zu Steuerberater und Notar, kümmern sich um die Finanzbuchhaltung und so weiter – beschäftigen sich also überhaupt nicht mehr mit der Situation des Kunden und wie das Geschäftsmodell generell funktionieren könnte. Daran scheitern dann die meisten Gründungen.
Nils Högsdal: Eine weitere Statistik sagt übrigens auch, dass 95 Prozent aller Businesspläne nicht umgesetzt werden. Auch das stimmt. Ebenso wie andere Zahlen, die belegen, dass von 100 Solo-Selbstständigen – die wegen fehlender Angestellten ein geringeres Risiko haben – nach sechs Jahren nur elf wirklich aufgeben mussten. Daran merkt man, wie unterschiedlich die Zahlen sind.
Wichtig ist die Einstellung, dass man eine Gründung bewusst als Experiment sieht. Wie Daniel Bartel schon gesagt hat: ich suche ein Geschäftsmodell, es ist kein Scheitern, wenn ich das Geschäftsmodell anpasse, und wenn es gar nicht funktioniert, habe ich ein Exit. Heutzutage heißt dies etwas absurd: Fail faster, also: scheitere schneller. Das bedeutet, man scheitert im Kleinen und hat vielleicht 1.000 Euro kaputt gemacht – kann dann aber anpassen, bevor das Kapital ausgeht. Diese Haltung steht auch hinter dem „Handbuch für Startups“.
oreillyblog: Wir wissen, dass z. B. die USA deutlich gründerfreundlicher sind. Was kann man von ihnen lernen?
Nils Högsdal: Die Sache ist ja: So schlecht ist es bei uns gar nicht. Zum Beispiel ist die Unterstützung für Gründer im öffentlichen Bereich hervorragend – dies wird nur zu wenig kommuniziert. Aber ich denke, wir brauchen erstens im positiven Sinne mehr Markt, mehr Marketing und auch mehr Best-Practice-Sharing. Wir sollten die Erfolgsgeschichten mehr teilen, ohne Neid. Das zweite, was wir von den Amerikanern lernen können, ist das schöne „Think big“. Wir haben sehr viele schöne Gründungen hierzulande, die dann bei 20 Mitarbeitern stehen bleiben. Die Gründer sind dann glücklich, dass sie damit ihren Lebensunterhalt verdienen, aber sie verpassen auch die Chance, aus einem 20-Mann-Unternehmen ein 100- oder auch 1.000-Mann-Unternehmen zu machen und entsprechend weiter zu wachsen.
Daniel Bartel: In Amerika gibt es da eine große Offenheit, etwas zu geben – die sogenannte „Pay-it-forward-Culture". Man gibt also seine Gründerstory, seine Erfahrungen weiter, ohne einen Gegenwert zu verlangen. Gründer sollten offen sein und sagen: „Wir teilen unsere Erfahrungen, weil du vielleicht irgendwann in die gleichen Probleme geraten wirst wie wir. Von uns kannst du lernen.“ Diese Form von Entrepreneurship – die Nils Högsdal und ich vertreten – muss aber ganz anders gelehrt werden als typische Managerkurse es üblicherweise tun. Und klar, die Förderung gibt es. Aber was dann passiert, ist, dass die Gründerteams ein Jahr lang in ihrem dunklen Keller vor sich hin entwickeln, ohne mit ihren Kunden zu sprechen. Und das genau ist der Fehler. Wir wollen, dass Gründer frühzeitig mit ihren Kunden reden und frühzeitig ihre Produkte testen.
oreillyblog: Tatsächlich gibt es mit MyMuesli oder Spreadshirt auch in Deutschland einige positive Beispiele. Hat eine gewisse Goldgräberstimmung eingesetzt – oder könnte aus Ihrer Sicht noch mehr passieren?
Nils Högsdal: Goldgräberstimmung wäre übertrieben. Aber man schaut mehr auf Gründungen, und vor allem darauf, wie Gründungen und Innovationen auch Technologien verändern. Ich denke da z. B. an den Spiegel-Titel „Die Weltregierung – wie das Silicon Valley die Zukunft steuert".
Man muss verstehen, dass das, was man über Gründen lernt, eine Kernkompetenz ist. Es hilft uns zu gründen, aber auch, Innovationen in den Markt zu bringen. Aus meiner Sicht ist es sehr wichtig, Innovationskultur zu stärken. Ob das am Ende immer in ein Startup mündet, oder zum Beispiel im Non-Profit-Bereich, ist ganz egal. Die Einstellung gegenüber Innovationen ist hier in Deutschland in den letzten Jahren deutlich besser geworden.
Daniel Bartel: Ich habe auch nicht das Gefühl, das Goldgräberstimmung herrscht. Es ist nach wie vor so, dass insbesondere junge Leute erst einmal den klassischen Karriereweg in einem Unternehmen wählen. Weil ihnen aber auch die Option fehlt: Über Unternehmensgründungen, Startups und Unternehmertum wird ja in den Schulen überhaupt nicht geredet. Und das fehlt dann. Ich hatte das Glück, dass es in Köln bzw. NRW so genannte Junior-Unternehmen gibt. Damit baut man ein Schülerunternehmen auf, und so hatte ich die ersten Berührungspunkte mit Unternehmertum. Schließlich hat es mir auch meinen Weg gezeigt – nämlich, dass ich die klassische Karriere nicht unbedingt brauche. Die gibt es bei Startups nicht, man ist ja gleich Chef. (lacht) Und scheitert oder scheitert eben nicht. Man lernt dazu oder eben nicht. Aber den Weg der Gründung als alternativen Bildungs- und Karriereweg zu zeigen, das fehlt leider an den Schulen, dafür gibt es auch keine Lobby.
oreillyblog: Die Fragen lauten an den (Hoch-)Schulen eher: „Wo finde ich einen Ausbildungsplatz, ein Praktikum, eine Traineestelle?“ – also geht es eher darum, sich in ein Unternehmen einzugliedern. Wenn ich mich aber entschließe – wer hilft bei all diesen trockenen Fragen wie der Suche der richtigen Unternehmensform, der Abgabe der Steuererklärung oder der Miete geeigneter Räumlichkeiten?
Nils Högsdal: Mittlerweile gibt es gerade für diese Fragen eine Infrastruktur rund um Förderung, dass diese teilweise sogar schon überbesetzt sind. Und teilweise tendieren die Berater dann dazu, die Gründer schon sehr früh mit den Themen Rechtsform, Steuererklärung etc. behelligen. Ich plädiere sehr stark dafür, erst einmal das Geschäftsmodell glattzuziehen und auf den Kunden zu schauen. Und erst dann – im richtigen Moment – zum Beispiel die Unternehmensform zu wählen, was überhaupt nur eine Sache von fünf Minuten ist. Für die Steuererklärung wiederum gibt es hervorragende Dienstleister und Online-Plattformen. Und Räumlichkeiten etwa sind erst dann relevant, wenn ich Publikumsverkehr habe, zum Beispiel im Handel. Ansonsten gibt es auch da mittlerweile eine hervorragende Infrastruktur wie Coworking Spaces und so weiter.
Es gibt Gründer, die Probleme bekommen, weil sie Fehler bei ihrer Steuererklärung gemacht haben – ja. Aber ich kenne kein Startup mit einem guten Geschäftsmodell, das dann daran gescheitert ist. Ich würde sogar raten, nicht früh zum Steuerberater zu gehen. Das Thema wird dann zu groß und entzieht den Gründern zu viel Aufmerksamkeit.
Daniel Bartel: Wir genießen in Deutschland ja ohnehin das Recht, auch als Privatperson Geschäfte machen zu dürfen. Und das sogar in einem recht großen Umfang. Man benötigt demzufolge gar nicht unbedingt eine Rechtsform, das BGB bringt schon eine Menge mit. Spannend wird es erst, wenn Haftungsrisiken abgedeckt werden müssen, das ist klar. Aber gerade am Anfang gibt es bei den meisten Startups wenig Problematiken dieser Art. Vor allem, wenn das Geschäftsmodell erst noch gesucht werden muss.
Ja, und wer hilft? Einfach fragen! Und zwar echte Unternehmer, echte Gründer – und nicht unbedingt Gründungsberater, die womöglich in ihrem ganzen Lebenslauf keine einzige eigene Gründung vorweisen können. Zum Gründen gehört schon ein gewisses Mindset, das man nicht so einfach lernen kann. Mit unserem Buch haben wir eine gute Grundlage geschaffen, von da an sollte man dann mit richtigen Unternehmern sprechen.
oreillyblog: Lohnenswert sind sicherlich auch Startup Weekends. Sie beide sind beispielsweise in Stuttgart an der Orga beteiltigt. Wie schätzen Sie die Chancen ein, an einem Wochenende wirklich tragfähige Konzepte zu erstellen?
Daniel Bartel: Startup Weekends sind ein weltweites Phänomen. Das Format hilft dabei, ein Team zu finden. Und vor allen Dingen dabei, ein Momentum aufzubauen: Was ist ein Unternehmen? Was ist ein Startup? Die Organisatoren, Tutoren und Juroren helfen dabei, alle Fragen rund um die Geschäftsidee zu beantworten. Wie Sie schon sagen, geht es in diesen zwei Tagen weniger darum, ein komplettes Geschäftsmodell aufzubauen. Aber: Man kommt wesentliche Schritte weiter, man erlebt das Gründen, und genau um dieses Erlebenvon Teambuilding, Entrepreneurship und agilem Denken geht es erst einmal. Was heißt es, Geschäftsmodelle aufzubauen, zu testen, wieder umzuwerfen, mit Kunden zu reden? All das gibt einem das Startup Weekend in zwei Tagen mit.
Nils Högsdal: Und dennoch entstehen an jedem Startup Weekend ausgehend von 10 bis 15 Teams etwa zwei bis drei Businesskonzepte, die dann wirklich weiterverfolgt werden und schließlich auch zu einer Gründung führen. Ich kenne Unternehmen, die ihren Ursprung direkt auf einem Startup Weekend hatten, und weitere Unternehmen, die ihre Geschäftsidee später evaluiert auf den Markt gebracht haben. Sie haben also nicht direkt auf dem Startup Weekend gegründet, aber dort einen großen Meilenstein erreicht. Aber nicht vergessen: Es ist ein Experiment, und ich kann in 54 Stunden natürlich nicht alles erreichen – je nach Geschäftsfeld fehlt es auch an entsprechender Hardware. Übrigens ein Grund dafür, warum Geschäftsideen im Web an einem Startup Weekend zügiger vorankommen – hier kann einfach schneller etwas aufgesetzt werden.
oreillyblog: Das heißt, danach sollte entsprechend des Lean-Startup-Grundsatzes weiter entwickelt und justiert werden? Das Geschäftsmodell immer wieder neu ausrichten, anstatt einen bestimmten Businessplan in Stein zu meißeln?
Daniel Bartel: Absolut richtig!
Nils Högsdal: Was nach dem Startup Weekend wichtig wird, falls man es noch nicht erledigt hat: Man sollte dann ein Financial Model entwerfen. Dann bekommt ein Gefühl dafür, was es bedeutet, pro Kunde pro Monat beispielsweise 10 Euro Abogebühren zu bekommen. So kann man versuchen, seine Hypothesen in Zahlen darzustellen. Und nicht vergessen: Bei einem Startup-Modell setzen wir auch agile Methoden – man sollte also immer lernfähig bleiben und die Idee gegebenenfalls anpassen. Es kann auch positive Überraschungen geben, zum Beispiel, wenn ein ganz anderes Kundensegment ins Blickfeld gerät. Oder was ich auch schon erlebt habe: Beim Gespräch mit dem Kunden stellt sich zufällig heraus, dass es eigentlich noch ein viel dringenderes Problem gibt, was gelöst werden sollte. Dann muss man sich natürlich erst einmal darauf konzentrieren.
oreillyblog: An wen können sich Gründer dann wenden? Gibt es Anlaufstellen für Gründer?
Nils Högsdal: Ganz generell – jenseits von Plattformen – gebe ich allen den Tipp: Vernetzt Euch mit Gründern, die bei Euch vor Ort aktiv sind! Das bringt mehr als alles andere. In manchen Städten gibt es ein so genanntes Gründergrillen. Auch die Startup Weekends bestehen ja aus mehr als zwei Tagen, denn danach entstehen daraus Facebook-Gruppen, über die man sich weiter austauschen kann. Coworking Spaces können eine gute Anlaufstelle sein.
Daniel Bartel: Viele weitere Infos, Materialien und Checklisten gibt es dazu auch auf unserer Website startup-handbuch.de – genauso wie Kontaktdaten, um Nils oder mich zu sprechen.
oreillyblog: Als Gründer muss man bereit sein, immer wieder neues Risiko einzugehen. Ist da ein bestimmter Typ Mensch gefragt?
Daniel Bartel: Wichtig ist die Einstellung. Wie stehe ich zu allen Ungewissheiten, die das Gründen mit sich bringt? Und speziell bei Lean Startups: Kann ich mich auf ein Team einlassen, mit diesem in die Zukunft schauen? Welche Rolle nehme ich im Team ein? Gehöre ich zu den introvertierten Menschen? Habe ich eine Gamer-Natur, gehe Herausforderungen spielerisch und dynamisch an? Ich glaube, für ein Startup braucht man beide Seiten. Aber alle benötigen die Flexibilität, in Horizonten von etwa zwei, drei Monaten zu denken und ihre Lösungen entsprechend anpassen zu können.
Nils Högsdal: Damit spricht Daniel einen weiteren wichtigen Aspekt an: Erfolgreiche Startups sind in den meisten Fällen Teamgründungen. Auch wenn manchmal nur eine Person vorne steht, hat diese noch andere Menschen an Bord. Zum Beispiel gibt es den Hacker, der eine tolle Idee hat – und dann aber jemanden bei sich hat, der in der Lage ist, nach draußen zu gehen und mit allen (potenziellen) Kunden zu sprechen und letztlich auch klassisch Vertrieb zu machen. Als Dritten haben sie dann jemanden im Team, der gut mit Zahlen umgehen kann, der in der Lage ist, das Abläufe zu strukturieren und der auch die Finanzen übernimmt. Kaum ein Gründer wird alle Kompetenzen haben. Man sollte eher schauen, dass man ein Team aufbaut, in dem sich die Kompetenzen gut ergänzen.
Und ich stimme zu, dass zum Gründen eine gewisse Einstellung gehört. Es müssen Leute sein, die nicht immer alles sofort haben wollen. Man muss bereit sein, beispielsweise ein halbes Jahr in eine Idee zu investieren, ohne monatlich 4000 Euro zu bekommen, die man vielleicht als angestellter Ingenieur oder BWLer verdienen könnte. Unter Umständen kommt der große Erfolg am Schluss, auch finanziell – oder eben auch nicht.
Daniel Bartel: Man muss sich seinen eigenen Runway – also Laufbahn – vorstellen. Klar, am Ende dieser Laufbahn habe ich eventuell kein Geld und/oder keine Motivation mehr und muss zurück in einen Konzern, um dort eine „normale“ Karrierelaufbahn zu verfolgen. Aber man kann sich doch selbst ganz bewusst die Chance geben, vorher ein Jahr lang eine Idee zu verfolgen. Familie und Freunde stehen dahinter und helfen womöglich dabei – dann sollte man loslaufen! Tatsächlich hat man heutzutage genau dafür mehr Freiheiten denn je. Wir werden von Sicherheiten gepampert, der Staat unterstützt uns in vielerlei Hinsicht, Sabbaticals werden immer beliebter, auch wenn sie zum Gründen genutzt werden. Man kann auch zunächst neben dem Hauptjob oder dem Studium gründen. Wichtig ist das Ausprobieren – und eben nicht 15 Jahre lang in einem Unternehmen zu weilen und dann diese Chance, mit wenig Geld viel machen zu können, gar nicht mehr zu haben. Mit Kindern und Familie beispielsweise wird es dann einfach schwieriger.
oreillyblog: Kommen wir zum „Handbuch für Startups“. Wann/wie sind Sie erstmalig auf das Werk von Steve Blank und Bob Dorf aufmerksam geworden?
Daniel Bartel: Seit 2010 verfolge ich Steve Blank über das Web. Als 2012 sein Buch erschien, habe ich es mir wie sein Vorgängerbuch sofort gekauft. So bin ich an die Lean-Startup-Lehre gekommen. Bei Autonetzer.de, einem privaten Carsharingportal, habe ich diese dann auch selbst ausprobieren können. Das Startup hatte ich damals mit aufgebaut, und das Buch hat mir dabei sehr viel Sinn und Klarheit gegeben. Es hat mir diese komplett neue Denkweise wunderbar gezeigt, deshalb war es mir wichtig, das Buch auch nach Deutschland zu bringen.
Nils Högsdal: Ich bin regelmäßig im Silicon Valley und habe deshalb die ganze Lean-Startup-Bewegung von Anfang an mitverfolgt. Mich hat es dann schon 2012 gefuchst, dass mit „Business Model Generation“ von Alexander Osterwalder und „Lean Startup“ von Eric Ries zwar zwei wichtige Bücher auf deutsch verfügbar war, aber ausgerechnet das strukturierte „Startup Owner’s Manual“ mit seinem Vorgehensmodell nicht. Daniel und ich tauschten uns damals auch gleich aus, dass wir das Buch gern nach Deutschland holen würden. Zumal ich als Professor der Hochschule der Medien Stuttgart das Buch auch für ein hervorragendes Lehrbuch halte.
oreillyblog: War dies das erste Buchprojekt, an dem Sie beteiligt waren? Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit dem Verlag empfunden?
Nils Högsdal: Für mich war es nicht das erste Buchprojekt, aber es war eine ganz andere Zusammenarbeit als bisher. Warum? Alle anderen Verlage, die diese Art von Special Interest-Büchern veröffentlicht haben, haben bis auf die Druckkosten sehr wenig in das jeweilige Buchprojekt investiert. Bei diesem Buch habe ich jetzt zum ersten Mal erlebt, dass ein Verlag bereit ist, in Vorleistung zu gehen. Unsere Lektorin Susanne Gerbert hat gesagt: ‚Wir sehen großes Potenzial – und gehen mit der Übersetzung und allen Arbeiten drum herum in Vorleistung, um ein hochwertiges Buch herauszubringen.‘ Damit ist der Verlag auch ganz klar ein unternehmerisches Risiko eingegangen. Auch die Professionalität der Prozesse überzeugte mich sehr.
Daniel Bartel: Ich habe auch schon einige Beiträge zu anderen Büchern schreiben dürfen – aber dieses Buch war wirklich sehr besonders. Für uns war klar: Wenn wir die Chance ergreifen, das Buch nach Deutschland zu bringen, muss es a) ein Erfolg werden und b) es muss vernünftig übersetzt sein. Mit O’Reilly haben wir dann einen Partner gefunden, der sich auf unser neuartiges, individuelles Publishingmodell einlässt – bei dem man eben mit zwei Leuten kooperiert, die über die nötige Expertise verfügen und sagen „Hey, wir wollen in unserer Freizeit, neben dem Job und ohne weiteres Honorar, dieses Buch nach Deutschland bringen.“ (lacht)
Dafür wollten wir unsere Case-Studies einfügen, die Übersetzung unterstützen, das Buch hier bekannt machen. Dass das Buch jetzt so erfolgreich ist, ist sicherlich das Ergebnis aus dieser guten Zusammenarbeit und unserer fachlichen Begleitung. Mir hat das bisher sehr viel Spaß gemacht und es wird hoffentlich auch noch weitergehen.
oreillyblog: Ich kann das nur bekräftigen. Auch von Verlagsseite ist es ein echter Mehrwert, eine Übersetzung von international und innerhalb Deutschlands vernetzten Fachleuten begleiten zu lassen.
Daniel Bartel: Ich sehe an unserem Beispiel tatsächlich ein zukunftsfähiges Publishingmodell. Und das Buch bietet über die Dreier-Beziehung Originalautoren – Experten im Zielland der Übersetzung – Verlag letzlich noch viel mehr. Es bringt den Schlüssel zu diversen Materialien und Checklisten – und eben auch zum Erleben echten Enterpreneurships, für das wir gerne stehen.
oreillyblog: Herr Bartel, Herr Högsdal, wir danken sehr für Ihre Arbeit – und das ausführliche und aufschlussreiche Gespräch!
Das Interview führte Corina Pahrmann. Mehr über Daniel Bartel gibt es unter http://www.daniel-bartel.de/, mehr über Nils Högsdal auf der Seite der HdM Stuttgart.