Oliver Kienzler hat mich im Rahmen seiner Masterarbeit "Carsharing-Geschäftsmodelle: Herausforderungen, Chancen & wichtige Erfolgsfaktorenan" an der Universität Hohenheim interviewt. Nachfolgend das bereinigte Transkript des umfangreichen Gesprächs:
Daniel Bartel setzt sich sehr intensiv mit der Sharing Economy und Geschäftsmodellen auseinander. 2011 gründete er das Online-Magazin kokonsum.org (mittlerweile OuiShare.net) mit dem er über die Vorteile des Teilens in Deutschland berichtet. Zwischen 2011 und 2013 arbeitete er für die private Car-Sharing Plattform Autonetzer.de.
Oliver Kienzler: Zum Einstieg möchte ich die Frage stellen wieso Unternehmen aus deiner Sicht Geld in Sharing-Economy Geschäftsmodelle investieren?
Daniel Bartel: Es gibt natürlich mehrere Gründe. Die Sharing Economy boomt durch das Internet. Das Thema ist nicht neu, es gab es schon immer. Durch das Internet wird die Sharing Economy aber erst so richtig massentauglich. Leute vertrauen sich untereinander und sie vertrauen auch Fremden. Sowohl das Internet, als auch das neu entstandene Vertrauen im Internet und die Online-Bezahlsysteme ermöglichen ganz neue Geschäftsmodelle. Unternehmen wollen den Anschluss natürlich nicht verlieren da die Sharing-Economy in bestimmten Bereichen unumgänglich ist. Ein Beispiel ist das Peer-to-Peer Sharing Modell bei dem es darum geht, dass Verbraucher untereinander ihre Sachen verleihen oder vermieten. Unternehmen haben hier natürlich Angst zu kurz zu kommen. Deswegen ist es durchaus wichtig, dass sich die Unternehmen engagieren und entsprechend ihrer verschiedenen Möglichkeiten aktiv sind.
Oliver Kienzler: Denkst du, dass dieses Engagement der Unternehmen sich zukünftig eher noch steigern wird – siehst du Zukunftspotenzial bei diesem Trend, oder ist es vielleicht nur ein Medienhype?
Daniel Bartel: Nein, ich glaube schon, dass sich das Engagement der Unternehmen in Zukunft noch steigern wird. Vor zwei Wochen haben wir in Frankreich die größte Finanzierung in ein Start-Up Unternehmen erlebt, die es jemals gab. Das waren über 100 Mio. Dollar für eine Sharing-Economy Plattform. Diese Plattform „BlaBlaCar“ ist die größte Konkurrenz zu Mitfahrgelegenheit.de. Daran sieht man, dass genau wie in Airbnb viel Geld investiert wird. Google interessiert sich für die Sharing Economy sehr und wenn es Google tut, dann werden andere Unternehmen die Sharing Economy auch weiterhin aktiv unterstützen.
Oliver Kienzler: Welche potenziellen Auswirkungen der Sharing Economy siehst du für das klassische Kerngeschäft, im Sinne der Entwicklung, Herstellung und dem Verkauf von Autos?
Daniel Bartel: Dort wo die Sharing Economy immer populärer wird, wird auch immer deutlicher, dass der Sympathiewert eines eigenen Autos stetig sinkt. Genau hier wird es immer wichtiger, dass man andere Absatzmärkte findet. Zum Beispiel nimmt die Anzahl der Leasingfahrzeuge Ausland immer weiter zu. Was also Fahrzeughersteller in Zukunft immer mehr und mehr machen werden, ist, dass sie Car-Sharing schon in das Auto ab dem Werk integrieren werden. In den USA wird aus dieser „Zukunft“ schon Realität. GM (General Motors) beispielsweise hat vor zwei Jahren ein Integrationsprojekt gestartet. Auf Knopfdruck wird das Auto automatisch zum Car-Sharing freigegeben. Das ist ein exzellentes Beispiel für andere Unternehmen um genau so umdenken zu lernen. Sie müssen sich überlegen welchen Service und Leistungen sie zusätzlich anbieten können. In diesem Fall betrifft das natürlich das Produkt und den Service auf einmal. Es geht über den Verkauf des Produktes hinaus. Unternehmen müssen sich die Frage stellen, was man mit einem Auto eigentlich machen kann. Die Leute haben natürlich einen Bedarf von A nach B zu kommen und Individualverkehr zu genießen. Die beste und günstigste Lösung wird natürlich bevorzugt. Wenn ein Google-Auto von alleine fährt, ich nebenbei arbeiten kann und es kostet mich nicht viel, dann brauche ich kein eigenes Auto mehr. Diese Entwicklung wird immer mehr und mehr kommen und Unternehmen können sich mit den verschiedensten Möglichkeiten jetzt schon darauf einstellen. Wie schon erwähnt, wenn frühzeitig in Plattformen investiert wird, kann der Automobilhersteller das Auto „sharable“, also teilbar machen. Zusätzlich können sie Versicherungsprodukte oder auch Abrechnungssysteme im Bundle anbieten. Einer Marke wie z.B. Mercedes können diese Dienstleistungen eine Art Trust-Symbol geben, die zeigt, dass diese Autos im privaten Car-Sharing zuverlässig sind. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten für Unternehmen jetzt umdenken zu lernen, über die reine Produktion von Autos hinaus.
Oliver Kienzler: Du hast jetzt verschiedene Möglichkeiten angesprochen, wie die Hersteller reagieren können. Welches sind aus deiner Sicht die besonders Relevanten?
Daniel Bartel: Zunächst muss eine Art Betriebsplattform geschafft werden. car2go macht das schon ein bisschen oder auch car2go black oder moovel. moovel gilt als Dach des Ganzen. So eine Art Plattform zu haben ist essenziell wenn man verschiedene Mobilitätsvarianten mit verschiedenen Charakteren anbietet. In Hamburg gibt es dieses car2share in den Varianten work, living und private. Man sollte sich von Anfang an als umfassende Plattform aufstellen. Als nächstes ist es wichtig, sich generell zu überlegen, wie man das Thema Mobilität neu verstehen kann. An sich ist das Auto doch nur ein Gegenstand? Und wie kann vielleicht das Auto anders produziert werden? Zum Beispiel mit Hilfe eines kollaborativen Ansatzes, Co-Innovation Ansätzen, Co-Creation Ansätzen, 3D-Drucken uvm. Vielleicht können Leute ja irgendwann die Autos selbst zusammenbauen. Das wäre vielleicht schon ein Trend der dazu führt, dass Autos mehr verkauft werden.
Oliver Kienzler: Also kannst du dir auch vorstellen, dass die Endkunden durch die Sharing-Economy immer mehr im Produktentstehungsprozess mit eingebunden werden?
Daniel Bartel: Auf jeden Fall! Gerade private Car-Sharing Unternehmen, z.B. bei Autonetzer.de, haben viele von Privatpersonen Autos ausgeliehen weil sie Testfahrten machen wollten. Das ist ein wichtiger Aspekt, dass man so die vielfältigsten Fahrzeuge mit verschiedensten Lebensdauern testen kann. Es ist sicher auch eine Möglichkeit sich zu engagieren.
Oliver Kienzler: Man kann ja in der Praxis beobachten, dass z.B. Daimler sich sehr viele Gedanken zu dem Thema macht. Andere Konzerne, wie z.B. Audi sagt, wir distanzieren uns vom Car-Sharing und machen kein eigenes Car-Sharing. Was denkst du, wie bedeutsam es in Zukunft für die Hersteller sein wird, sich darauf einzustellen? Kann man in Zukunft nur noch Erfolg haben wenn man sich mit der Sharing Economy aktiv auseinandersetzt?
Daniel Bartel: Das glaube ich nicht, zumindest mittelfristig nicht. Jedes Unternehmen hat auch seine Grenzen. Car2go und DriveNow sind bewusst nur in drei, vier, fünf Städten in Deutschland aktiv weil sie diese entsprechenden Auslastungen brauchen. Natürlich steigert man sich mit der Zeit. Umso bekannter man wird, umso mehr steigert das die Nachfrage. Und irgendwann wird es dann auch so sein, dass die kleineren Städte vermutlich Car-Sharing einführen können, wo es sowieso schon Player am Markt gibt. In den kleinen Dörfern und auf dem Land werden die Menschen ihre privaten Autos weiterhin besitzen, das steht nicht zur Debatte. Sie brauchen das Auto weil sie jeden Tag damit fahren. Da ist es relativ schwierig das Auto zu leihen und zu verleihen. Hier wäre vielleicht dann privates Car-Sharing eher eine Option.
Oliver Kienzler: Wie schätzt du die Gefahr ein, dass durch die Einführung von eigenen Car-Sharing Angeboten eine Kannibalisierung des Kerngeschäfts der Automobilhersteller erfolgt?
Daniel Bartel: Ja klar, das wird passieren und ist aus meiner Sicht aber auch normal. Jedes Unternehmen muss sich kannibalisieren um weiter zu leben. Sehen wir uns Apple an, oder zum Teil auch Windows. Diese Firmen mussten das Kerngeschäft zerstören, damit sie weiter gekommen sind. Ansonsten werden Unternehmen in zwanzig Jahren nicht mehr existieren.
Oliver Kienzler: Welche Geschäftsmodelle sind aus deiner Sicht zu unterscheiden?
Daniel Bartel: Es gibt verschiedene Einteilungsmöglichkeiten. Eine Studie von Frost & Sullivan aus 2012 hat diese Möglichkeiten am besten geplottet. Ich kann das nur schwer wiedergeben. Aber es gibt, wenn man es nach dem Nutzerbedarf macht, kleine Reichweiten bis hohe Reichweiten versus Professionalität. Dann hat man z.B. Taxis oder Mitfahrgelegenheiten als Car-Sharing im weitesten Sinne. Man hat das Car-to-go und seine Kurzstreckenausleihen. Und man hat zum Beispiel professionelle Taxianbieter. Andere, oben rechts im Quadranten sind Autonetzer, die als pivate Car-Sharing Organisation fungieren. Diese haben natürlich eine geringe Professionalität, aber eben eine lange Reichweite. Genau so kann man meiner Meinung nach in B2B, B2C und P2P Car-Sharing einteilen. Beispiele für B2C sind klar: car2go, Flinkster usw. P2P Sharing ist das Teilen von Person-to-Person, also das private Car-Sharing. Dann gibt es B2B: Leasingflotten werden angeboten, die man aber auch liquide machen kann indem man sie als Fahrzeugpool am Wochenende privat zur Verfügung stellt. Wieso soll denn der Fuhrpark eines Handwerkers am Wochenende still stehen? Warum kann man den nicht für Privatpersonen freigeben? Das sind neue Möglichkeiten. Und letztendlich auch, was ganz cool aber was aber, glaube ich, noch komplett unerforscht ist, ist C2B. Private Konsumenten leihen ihre Fahrzeuge an Geschäftsleute.
Oliver Kienzler: Wo siehst du Gemeinsamkeiten zwischen allen Geschäftsmodellen?
Daniel Bartel: Was alle Geschäftsmodelle gemeinsam haben ist, dass man immer eine Plattform benötigt. Ein Netzwerk, eine Website, einen Telefonservice und/oder ein Abrechnungssystem. Man braucht immer wieder diese Plattform auf der Angebot und Nachfrage zusammentrifft. Außerdem findet man die minutengenaue und leistungsbasierte Abrechnung bei allen Anbietern, das sogenannte „pay as you go.“ Das ist die Bezahlung wenn du fährst, ansonsten hast du aus Endnutzersicht aber nur geringe Fixkosten. Genau das ist auch ein typisches Merkmal aller Geschäftsmodelle: Geringe Fixkosten. Das sind die zwei wesentlichen Gemeinsamkeiten. Darüber hinaus braucht man natürlich auch ein Auto mit vier Rädern, klar.
Oliver Kienzler: Welche Unterschiede bestehen aus deiner Sicht zwischen den Geschäftsmodellen?
Daniel Bartel: Erstens: Wer betreibt die Plattform? Ist es ein Start-up, ist es ein Unternehmen, ist es ein Automobilhersteller oder ein Dritter? Wenn Google jetzt mit seinen Self-driving Cars einsteigt, dann ist Google der Internetanbieter, der diese Plattform zur Verfügung stellt. Das ist ein massiver Unterschied. Weiterhin unterscheidet sich das Interesse: Was will der Anbieter eigentlich? Ein privater Car-Sharing Anbieter ist glücklich wenn er ein paar Euro verdient wenn er sein Auto ein paar Mal verleihen kann so dass es nicht rostet und er etwas Gutes damit tut. Im Gegenteil dazu sind Konzerne natürlich auf die Gewinnmaximierung bedacht. Oder sogar darauf, dass du natürlich verschiedene Autos nutzt und brauchst. Das heißt z.B. dass du als Hersteller Autos produzierst und durch das Car-Sharing für dich selbst einen neuen Absatzmarkt findest. Smart hätte sicherlich letztes Jahr 15.000 Autos weniger produziert hätte es nicht car2go bzw. Car-Sharing gegeben. Es ist natürlich auch Marketing und die ideale Promotion. Bei VW sagt man manchmal, dass es eher eine Werbeplattform ist um die VW Autos zu promoten. Bei car2go kann man das Gleiche sagen. Und genauso gibt es Gerüchte – ich kenne die Quellen nicht – dass manche Automobilhersteller mit so kleinen Autos wie dem Smart mit Car-Sharing unter gewisse CO2 Ausstoßlimits kommen. Wenn man solche Angebote einführt, umgeht man als Automobilkonzern Strafen. Letztendlich ist die Frage wo das Geld landet. Beim privaten Car-Sharing ist es so, dass der private Anbieter sicher am meisten Geld verdient.
Oliver Kienzler: Wenn man die unterschiedlichen Geschäftsmodelle gegenüberstellt, sprechen aus deiner Sicht alle Modelle dieselben Zielgruppen an oder bestehen hier Unterschiede?
Daniel Bartel: Ja, es sind verschiedene Zielgruppen. Die Frage ist: Was will ich? Brauche ich ein zuverlässiges Auto, ein Neues, das auch sauber ist? Oder reicht auch eine „Klapperkiste“? Es kommt also immer auf den Nutzer an und was für ein Typ er oder sie ist. Nicht jeder will einen Smart fahren, nicht jeder braucht eine Limousine. Das ist der eine Faktor. Der andere Faktor ist natürlich die Nutzungsart. Sprich, brauche ich das Auto für einen Kurztrip, für eine größere Strecke, für einen längeren Trip? Brauche ich das Auto one-way oder muss ich es irgendwo abstellen können? Das sind alles Faktoren, die dabei eine Rolle spielen.
Oliver Kienzler: Wie stark würdest du die Wettbewerbsintensität zwischen verschiedenen Car-Sharing Modellen einschätzen?
Daniel Bartel: Beim privaten Car-Sharing wie z.B. bei Autonetzer.de werde ich immer gefragt: “Ja Daniel, ihr seid doch Konkurrent von car2go?”. Da sage ich dann „Nein, wir ergänzen uns super“ weil car2go macht nur Ausleihen zwischen 10 Minuten und 2 Stunden. Und wir leihen zwischen 1 und 3 Tagen aus. Das heißt, wir haben eine komplett andere Zielgruppe und andere „Nutzungscases“. Bei uns fährt man das Auto länger als bei car2go. In dieser Hinsicht sind wir eigentlich gar keine Wettbewerber. Da sind wir, als privates Car-Sharing Unternehmen, eher Wettbewerber zu Mietwagenfirmen. Sie melden sich dann bei uns und sagen, dass das Angebot von privaten Fahrzeugen per Rechtslage nicht zulässig sei. Meiner Meinung nach gibt es hier mehr Synergieeffekte. Es ist dann eine größere Auswahl vorhanden. Das ermöglicht den Konsumenten das Richtige für sich auszuwählen. Und ja, die Bahn ist auch Wettbewerber von Car-Sharing oder Busunternehmen, das muss man ja auch sagen. In diesem Fall ist sogar ein Wettbewerber. Es gibt immer ein bisschen Konkurrenz, aber bisher ergänzt sich das eher noch. Es ist ja auch die Studie bekannt, dass Car-Sharing Nutzer, klassisches Car-Sharing in dem Fall, eher noch mehr ÖPNV fahren, als vorher. Auch wenn sie ein eigenes Auto hätten. Das ergänzt sich dann auch wieder.
Oliver Kienzler: Die Peer-to-Peer Anbieter gab es ja schon bevor die großen Car-Sharing Anbieter auf den Markt kamen. Inwiefern denkst du, haben diese Anbieter die neue Konkurrenz im Hinblick auf die Kundenakquise durch den Markteintritt der Konzerne zu spüren bekommen?
Daniel Bartel: Also ich glaube das ist wirklich eher andersrum. Ich glaube das hat das eher beflügelt. Car-Sharing war damals noch sehr unbekannt und ist inzwischen ein fester Begriff dank car2go und den anderen Anbietern. Und wir (Autonetzer.de) haben das zu der Zeit als ich dort war (2011 bis Anfang 2013) nicht gemerkt, eher im Gegenteil. Das hat es eher gefördert.
Oliver Kienzler: Jetzt würden mich deine Erfahrungen beim Aufbau von Autonetzer.de interessieren. Wie würdest du das Geschäftsmodell beschreiben?
Daniel Bartel: Autonetzer ist ein provisionsbasiertes Geschäftsmodell. D. h. wir sind eine Internetplattform. „Multi-sided business“ nennen wir uns auch. Im Business Model Canvas haben wir zwei Kundensegmente. Das eine ist das Kundensegment der Vermieter und das andere ist das Kundensegment der Mieter. Auf der anderen Seite haben wir Partner. In diesem Fall ist das die Versicherung, die uns die Autos versichert, damit wir die Ausleihen abgesichert haben. In der Mitte ist dann eben die Value Proposition, der Mehrwert den wir beide auf der Plattform zusammenbringen. Wir kümmern uns u.a. um den Zahlungsverkehr, den Versicherungsschutz, den Service und die Absprache der Leute. Mieter und Vermieter treffen sich bei uns auf der Plattform. Es wird online vorab gezahlt und wenn alles glatt gelaufen ist, bekommt der Vermieter sein Geld. Wir behalten eine kleine Provision, früher waren es 15%, ein, d. h. es ist ein provisionsbasiertes Geschäftsmodell.
Oliver Kienzler: Was sind aus deiner Sicht wesentliche Chancen von Autonetzer bei der Einführung eines Car-Sharing Geschäftsmodells?
Daniel Bartel: Erstmals muss man ja unterscheiden: Was für Markt hat man? Beim klassischen Car-Sharing hat man den Endkunden, den Fahrer, der fahren will. Beim privaten Car-Sharing haben wir ein zweiseitiges Geschäftsmodell, bei dem wir zwei Kundensegmente separat ansprechen müssen. Hier hat man doppelseitiges Marketing. Das ist eine Herausforderung. Man muss sowohl Mieter als auch Vermieter überzeugen, dass die Plattform funktioniert. Und nur wenn die Interaktion zu Stande kommt und das auch erfolgreich, d. h. wenn ich jetzt ein Auto anfrage und ich suche auf der Plattform und finde fünf Autos, dann macht das Sinn. Wenn ich z.B. in Esslingen bin wo es zunächst kein Auto war, dann sage ich natürlich: „Car-Sharing bringt mir nichts“. In diesem Fall ist es als privates Car-Sharing super wichtig, dass man zwei Seiten aufbaut, was eben genau die Herausforderung ist. Die Chance bei einem privaten Car-Sharing ist, dass wir ja keine Assets haben. Uns gehören keine Autos. Während die anderen Millionen Euro in den Fuhrpark investieren haben wir hier keine Kosten, null. Und ja, das ist ein riesen Vorteil, eine riesen Chance. Du kannst dich also komplett auf das Marketing, auf die Rivalitäten und auf die Plattform konzentrieren. Du musst nicht erst die Autos bauen, umbauen oder dergleichen. Die Chancen sind auch hier, Autonetzer war oder ist in über 400 Städten aktiv. Das ist natürlich das knapp hundertfache von Daimler, die mit car2go in ein paar mehr als fünf Städten sind, wir aber in 400 Städten. Das ist natürlich ein gewaltiger Unterschied. In jeder kleineren Stadt sind wir mittelgroße Anbieter aktiv und das ist natürlich super wertvoll.
Oliver Kienzler: Wenn ich dich richtig verstanden habe, siehst du als eine Chance, dass man als privater Anbieter wie Autonetzer keinen eigenen Fuhrpark hat und insofern nicht diese enormen Investitionen notwendig sind.
Daniel Bartel: Genau, wenn Daimler in eine neue Stadt will haben sie natürlich riesige Investitionen für Autos, Ladestationen, Parkplätze, Verwaltungsgenehmigungen usw. Das haben wir alles nicht.
Oliver Kienzler: Siehst du abgesehen davon noch weitere Chancen, die private Anbieter wie Autonetzer haben und kommerzielle Anbieter, wie z.B. car2go, nicht, oder umgekehrt?
Daniel Bartel: Klar, wir (Autonetzer) sind bzw. waren ein Start-up. Ein Start-up arbeitet ganz anders als ein Unternehmen. Das ist auch das, was ich in meiner täglichen Arbeit predige. Was wir machen ist disruptive Innovation, wir suchen nach einem skalierbaren Geschäftsmodell, das erfolgreich ist. Ein Unternehmen kann nur ausführen und Effizienz optimieren. Das sind deren Gene. Und wenn ich seit 100 Jahren Automobilhersteller bin, also Autos baue, dann tue ich mich schon schwer in neue Märkte reinzugehen. Vor allem mit den bestehenden Mitarbeitern. Car2go ist ein gutes Beispiel, dass es funktioniert. Aber es gibt da sehr viele Hürden im Konzern und in der Denkweise der Menschen. 2011 haben die Leute noch gesagt, privates Car-Sharing sei Schwachsinn oder Unfug. Heute ist es eine ernsthafte Option. Das ist einfach das Risiko, das ein Entrepreneur tragen will, kann und tut. Das kann ein Konzern nicht unbedingt tragen.
Oliver Kienzler: Welchen kritischen Punkten und Herausforderungen bist du bzw. sind deine Kollegen während des Aufbaus von Autonetzer begegnet?
Daniel Bartel: Als die größte Herausforderung am Anfang bestand darin eine Versicherungslösung zu finden, die das ganze absichert. Ansonsten ist es in Deutschland eine ziemlich blöde Situation wenn du ein Auto für Geld an jemand anderes leihst oder verleihst. Dann ist es nämlich nicht versichert. Oder wenn du es unentgeltlich an Freunde oder Bekannte verleihst, dann geht selbstverständlich die Schadenfreiheitsklasse nach oben. Nehmen wir an, ich leihe mir dein Auto und du sagst „mach es bitte nicht kaputt“ aber es passiert trotzdem was. Klar deine Versicherung zahlt das aber deine Schadenfreiheitsklasse leidet darunter. Für dieses Problem einen Partner zu finden war eigentlich die größte Herausforderung. Es war schwierig, ein Versicherungsunternehmen zu überzeugen, dass das Geschäftsmodell mit uns Sinn macht, die dieses Experiment mit uns ausprobiert und ein Produkt für uns entwickelt, das wir das flexibel nutzen können. Das war der größte Punkt. Der zweitgrößte Punkt war vermutlich auch, klar, die Reichweite zu erzeugen. Wie gesagt, ein zweiseitiges Geschäftsmodell aufzuziehen, ist kein Zuckerschlecken, weil du doppelt so viel Aufwand hast. Im Marketing, in der Entwicklung und in der Kundenansprache. Mit Reichweite meine ich Bekanntheitsgrad bzw. die Erzielung einer kritischen Masse.
Oliver Kienzler: Wie habt ihr die Herausforderung mit dem Versicherungsschutz gelöst?
Daniel Bartel: Wir haben dann mit verschiedenen Versicherungsunternehmen gesprochen. Am Ende war es dann die R&V-Versicherung, die innovativ sein wollte und ebenso ein Produkt angeboten hat. Das ist ein Rahmenvertrag, der die Fahrzeuge immer dann versichert, wenn sie ausgeliehen werden. Pro Auslieferung muss der Mieter eine Versicherungssumme zahlen. Das sind 4,90 Euro am Tag. Wenn man den Selbstbehalt auf rund 100 Euro reduzieren möchte, dann zahlt man z.B. 1 Euro mehr. Das ganze wird dann aktiviert und das Auto ist dann automatisch versichert. Im Schadensfall kümmert sich die R&V um die Abwicklung, d. h. sie prüft ob die Ausleihe rechtmäßig war, ob der Zeitraum eingehalten wurde, wo der Unfall geschehen ist und dann kümmern sie sich um alles weitere. Dann gibt es einen Ausgleichsvorgang mit der Buchungsnummer. Wir überweisen am Monatsende die Versicherungsprovision an R&V. So war das der Stand in 2012.
Oliver Kienzler: Gerade bei eurem Peer-to-Peer Geschäftsmodell entstehen Interaktionen zwischen Plattform und Vermietern, zwischen Plattform und Mietern und aber auch zwischen Vermieter und Mieter. Welche Interaktionen finden da statt?
Daniel Bartel: Ja das sind natürlich diese Service-Touchpoints. Du musst das dann getrennt sehen. Da gibt’s auch eine schöne Studie aus 2012: Zwei Schweden haben eine super schöne Infografik gemacht mit Touchpoints für privates Car-Sharing. Ja klar, der Kunde hat einen konkreten Bedarf. Auf der einen Seite sein Auto einzustellen und sein Auto auszulasten oder sogar zu verkaufen. Auf der anderen Seite besteht ein Bedarf ein Auto zu mieten. Das dauert jetzt sicher 20 Minuten wenn ich die ganzen Touchpoints erzähle. Im Endeffekt geht es darum, dass sich die Leute auf der Plattform treffen, eine Anbahnung und eine Suchanfrage stattfindet, der Vermieter nimmt an, lehnt ab oder verändert den Zeitraum. Wenn er widerspricht, kann ich das Fahrzeug zu dem Zeitpunkt nicht verleihen. Zu einem anderen Zeitpunkt ist das aber möglich. Nun akzeptiert der Mieter das Ganze und bezahlt anschließend. Er bezahlt die Gesamtsumme, Kilometer, Grundpreis, Tagespreis und Versicherung online vorab. Beide bekommen ihr Buchungsprotokoll welches die Autoverleihung dokumentiert. Bestehende Schäden werden vorab fest gehalten. Die Schlüsselübergabe erfolgt, wo sich die Leute treffen, unterschreiben und dann wird das Auto ausgeliehen. Am Ende erfolgt die Rückgabe des Autos an den Vermieter, das Versicherungsprotokoll wird wieder zweifach unterschrieben. Anschließend werden beide noch aufgefordert, die Ausleihung zu bewerten. Das ist auch was ganz anderes als bei einem normalen Car-Sharing Unternehmen. Klar haben die Car-Sharing Unternehmen auch eine Bewertung wie sauber das Auto ist. Aber beim privaten Car-Sharing ist der Vertrauensfaktor ganz weit oben und daher ist es natürlich ganz, ganz wichtig, dass sich die Leute untereinander bewerten. Also sprich, war das Auto sauber? Waren Vermieter und Mieter pünktlich beim abgesprochenen Verleihort? Solche Sachen einfach, ja.
Oliver Kienzler: Okay. Stellt dann so ein Vertrauenssystem auch ein Erfolgsfaktor für Car-Sharing dar?
Daniel Bartel: Ja. Genau das kann man noch hinzufügen. Das ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. Das deine Plattform entsprechendes Vertrauen schafft. Im Sinne von der Community, von den Bewertungen aber auch im Sinne von Service. Also wir (Autonetzer) hatten auch einen sehr guten Service.
Oliver Kienzler: Fremde Menschen benutzen beim privaten Car-Sharing die Autos, die sich im Eigentum anderer Menschen befinden. Hast du Erfahrungen gemacht, ob die Menschen mit diesen Autos – die nicht ihr Eigentum sind – besser oder weniger gut umgehen, als wäre es ihr Eigentum?
Daniel Bartel: Das ganze Phänomen nennt sich „Tragedy of the Commons“, also Tragödie des Allgemeinguts. Es ist immer das Problem, dass wenn etwas nicht mir gehört, dann gehe ich damit anders um. Es ist beim privaten Car-Sharing bekannt. Meiner Meinung nach war das eigentlich gar kein Problem. Vermieter und Mieter haben sich physikalisch getroffen. Sie haben sich in die Augen gesehen. Und dann entsteht ein anderes Bewusstsein. Beim klassischen Car-Sharing habe ich schon mehr Probleme. Die Leute über-strapazieren das Auto vielleicht oder gehen einfach nicht achtsam damit um. Es ist schon noch einmal eine andere Sache, ob ich den Vermieter kenne oder nicht. Ja und wenn man vorletzte Woche während der WM auf der Theodor-Heuss-Straße war, konnte man sehen, wie ein car2go Auto umgeworfen und auf das Dach gerollt wurde. Leute sind darauf herum gesprungen. Das Auto hat sicherlich einen Totalschaden. Das ist einfach ein Beispiel dafür, dass eben da was fehlt. Der Respekt vor dem Allgemeingut ist da einfach nicht vorhanden. Oder sehr gering nur ausgeprägt.
Oliver Kienzler: Vorhin haben wir über Herausforderungen für private Anbieter, wie z.B. Autonetzer, gesprochen. Jetzt haben wir eine Herausforderung für kommerzielle Car-Sharing Anbieter gesehen, wie die Kunden möglicherweise schlecht mit den Fahrzeugen umgehen. Was könnten aus deiner Sicht weitere Herausforderungen für die kommerziellen Car-Sharing Anbieter sein?
Daniel Bartel: Naja, also ich bin kein Experte für normales Car-Sharing. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass die Hürden u. a. die Sicherstellung der Betriebssicherheit, also Wartung und Pflege der Fahrzeuge sind. Das ist eine logistische Herausforderung, hier effiziente Prozesse zu implementieren. Vermutlich sind die unterschiedlichen Nutzerverständnisse bzw. Nutzerprofile anders zu verstehen und auch entsprechend zu vertreiben. car2go macht auch Werbung offline mit Plakaten. DriveNow hingegen sagt, wir machen nur Online-Werbung, so erreichen wir die Zielgruppe am einfachsten. Da ist jetzt die Frage, was ist besser? Aber ja, die Kundenakquise-Kosten zu amortisieren, das ist eine Herausforderungen. Sagen wir mal, es kostet vielleicht 30 - 40 Euro die Kunden zu akquirieren, aber das gilt für privates Car-Sharing genauso. Dann muss man eben sehen, dass man die entsprechenden Ausleihen auch generiert um diese Akquise-Kosten wieder zu amortisieren. Das ist eine weitere Herausforderung meiner Meinung nach. Ansonsten, ja natürlich die Verwaltung vom Fuhrpark, als normaler klassischer Anbieter. Ich muss Kooperationen schließen, ich muss mich mit Städten arrangieren, mit den Fahrzeugen, mit den Politessen, usw. Und auch mit den Versicherungen. Ich glaube das sind die Herausforderungen eines großen, klassischen Konzerns.
Oliver Kienzler: Du hast gerade das Thema Kooperationen angesprochen. Bezogen auf deine Erfahrungen bei Autonetzer, welche Rolle haben da Kooperationen gespielt?
Daniel Bartel: Ja, es gab auf verschiedenen Ebenen verschiedene Kooperationen. Da sind lose Kooperationen mit Bloggern, mit Medienwebsites, wie z.B. carsharing.de, wo wir vielleicht Werbung schalten. Was wir z.B. auch gemacht haben, ist, dass wir mit Airbnb kooperiert haben. Wir haben mehrere Sachen gemacht, u. a. einen Nutzerabend, bei dem sich Airbnb-Nutzer und Autonetzer-Nutzer getroffen und ausgetauscht haben. Dann ist natürlich eine feste Partnerschaft – ganz wichtig, ohne das geht das Geschäftsmodell nicht – mit der Versicherung essentiell. Das ist eine weitere Kooperation oder eine Partnerschaft. Diese ist sicher am wichtigsten um überhaupt die Funktionsfähigkeit sicherzustellen: Zahlungsanbieter natürlich. Wir müssen natürlich auch Zahlungen abarbeiten. Und nicht zuletzt, als ich noch da war, hatten wir eine Kooperation mit Daimler. Und zwar in der Form, dass wir mit car2go etwas gemacht haben. Wir waren in den car2go Shops mit einem eigenen Stand für das Pilotprojekt „Nutzen statt Besitzen“, die dieses car2share unterstützt haben. Wir (Autonetzer.de) haben die Plattform bereitgestellt für das car2share private.
Oliver Kienzler: Wie hat das konkret ausgesehen?
Daniel Bartel: Konkret ist das eine „white-label“-Lösung. Autonetzer wurde, als Teil dieser car2share-Initiative regebrandet. Das gibt diese Plattform her und zwar unter einem anderen Logo wie z.B. Daimler oder Mercedes-Benz. Das haben wir dann begleitet. Wir haben dafür die IT-Infrastruktur bereitgestellt.
Oliver Kienzler: Welche Rolle haben für Autonetzer Kooperationen mit anderen privaten Car-Sharing Anbietern gespielt?
Daniel Bartel: Eigentlich gar keine. Wobei ich mich immer mit einem sehr gut verstanden habe und eng im Austausch war um ein paar „lessons-learned“ auszutauschen. Aber ansonsten? Was ist in letzter Zeit passiert? Es gab eine Klage des Verbands der Autovermieter (BAV). Sie haben negative Presse gemacht und wollten uns das Betreiben der Plattform verbieten. Die privaten Car-Sharing Anbieter haben hier versucht zu kooperieren. Als es zu dem Zeitpunkt ernst wurde, hatte ich das Unternehmen schon verlassen. Ich kann nicht sagen wie die Kooperation wirklich zu Stande kam. Soviel ich weiß, gab es von Autonetzer auch eine Petition „Wer teilt hat mehr“. Soweit ich weiß sind dort auch ein oder zwei private Car-Sharing Anbieter Mit-Initiatoren dieser Initiative. Es geht aber eher darum zu sagen: „Jeder sollte ein Grundrecht darauf haben, private Güter zu vermieten.“
Oliver Kienzler: Was sind aus deiner Sicht die wichtigsten Erfolgsfaktoren für die Implementierung von Car-Sharing Geschäftsmodellen? Vielleicht zuerst wieder auf Autonetzer, als Peer-to-Peer Geschäftsmodell, bezogen.
Daniel Bartel: Aus meiner Sicht sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren, dass man ein entsprechendes Angebot bereit hält, welches für die Leute angenehm, convenient und einfach ist. Also (a) zu den Fahrzeugen zu kommen und (b) diese Fahrzeuge auch zu nutzen und Zugang zu haben. Die Ausleihprozesse müssen wirklich sehr effizient und einfach gehalten sein. Man muss die Kommunikation mit den Kunden herstellen und zwar über Apps, Websites oder via Mobile damit man in ständigem Austausch steht. Das ist die Reichweite durch die man Nutzer bekommt und aktive Nutzer hält. Eine zweite Herausforderung ist sicherlich die Density, also die Auslastungsrate der Fahrzeuge. Weil wenn die Fahrzeuge nicht gefahren werden, dann hat weder der Vermieter noch der Mieter etwas davon. Und wir (Autonetzer.de) haben auch nichts davon. Deswegen müssen die Autos eben auch fahren. Das gilt aber auch ganz besonders für die normalen Car-Sharing Anbieter. Bei uns heißt das einfach nur, dass die Leute wiederkehren und das Auto nochmal ausleihen. Ja, das ist auch ein wichtiger Erfolgsfaktor. Und das Dritte ist beim privaten Car-Sharing dieses „long-tail“ Denken, d. h. wir sind in den großen Städten unterwegs. Dort haben wir am meisten Autos, in Hamburg und Berlin, aber wir sind eben auch in ganz vielen kleinen Städten unterwegs um dort die Auslastung zu generieren. Also „long-tail“ im Sinne von verschiedenen Fahrzeugen und im Sinne von verschiedenen Regionen um dort damit Geld zu generieren. Das passiert mit verschiedenen Fahrzeugen, Nutzertypen und Kategorien, sodass man dort diese Zielgruppen erreicht und eine maximale Auslastung generiert. Wenn man das schafft, ist es ein Erfolgsfaktor. Das gilt natürlich auch für die Großen im Sinne von Cross-Selling. Wenn jemand zweimal mein Auto nutzt, z.B. bei DriveNow, wird er dann doch vielleicht irgendwann mal so einen Mini oder einen i5 kaufen? Wenn du so willst, ist das ist ja auch ein bezahltes Probefahren. Das sind Erfolgsfaktoren die helfen, die Auslastung zu maximieren.
Oliver Kienzler: Was sind deiner Meinung nach die Erfolgsfaktoren für die Automobilkonzerne, die im Car-Sharing aktiv sind bzw. werden wollen?
Daniel Bartel: Ich glaube es ist verständlich, dass es mehr als nur ein car2go oder ein DriveNow Auto ist, sondern dass es auch darum geht ein Ökosystem zu schaffen. Es geht darum, ein Mobilitätskonzept zu schaffen, mit dem die Leute von A nach B kommen. Es gibt dafür viele Begriffe wie z.B. intermodale Mobilität, oder intermodaler Individualverkehr. Aber es geht um das Verständnis, dass es größer ist, als einfach nur ein Auto hinzustellen und zu schauen dass es einen Parkplatz hat. Dementsprechend ist das Umdenken ein Erfolgsfaktor.
Oliver Kienzler: Welche Rolle spielen aus deiner Perspektive gesetzliche und politische Rahmenbedingungen?
Daniel Bartel: Eine große Rolle. Die Gesetze sind teilweise noch gar nicht geschrieben. Ein Beispiel sind Car-Sharing Parkplätze. Seit Kurzem ist es so, dass sie geschützt sind und man als privater Autonetzer dort nicht parken darf. Früher war das egal. Die Politik muss sich beim privaten Car-Sharing überlegen, inwiefern das Ganze legal ist. Was passiert mit den Einnahmen des Vermieters? Gibt es dafür eine andere Rechtsform oder eine andere Legitimität? Bin ich automatisch Gewerbetreibender nur weil ich ein paar Mal im Jahr mein Auto vermiete? Das sind alles Fragen, welche die Politik klären muss. Zum Beispiel auch, was für die Versteuerung relevant ist. Das sind ganz schwierige Situationen, die im Moment noch nicht gelöst sind. Viele private Sharing-Unternehmen arbeiten daran, das in einem Gesetzesentwurf bzw. in Gesetzesentwürfe zu lenken. Und das ist einfach sehr schwierig. Zusätzlich muss die Politik diesen Wandel der Zeit verstehen. Da muss man sich überlegen wie man die Gesetze so gestaltet, dass sie am Ende funktionieren?
Oliver Kienzler: Wir haben das Thema Parkplatzsituation gestreift. Wie wichtig ist die Parkplatzsituation aus deiner Sicht für die Weiterentwicklung von Car-Sharing?
Daniel Bartel: Car-Sharing ersetzt ja zwischen 8 und 10 Autos und d.h. heißt, man braucht natürlich weniger Autos. Wenn das Auto mehr ausgelastet wird, braucht man natürlich weniger Autos und dann braucht man auch weniger Parkplätze. Das merkt man jetzt schon zum Teil. Es gibt diese Car-Sharing Parkplätze. Klar, es gibt ein paar weniger öffentliche Parkplätze aber ich meine, dass Leute ihre Autos verkaufen oder sich erst gar keins zulegen. Ich glaube, dass es sich dadurch zunehmend entspannen wird. Andererseits gibt es natürlich auch die bestrebenden Geschäftsmodelle, park2gether z.B. von Daimler. Dort werden dann Parkplätze professionell geteilt oder vermietet. Es bleibt abzuwarten wie sich das Ganze dann entwickelt, aber ich sehe das eher entspannt. Es wird, auch mittelfristig, einfacher mit dem Parken.
Oliver Kienzler: Siehst du eine Gefahr, dass wenn es heutzutage noch eine Parkplatznot gibt und sich dann Car-Sharing erst gar nicht so weit entwickeln kann, dass der von dir beschriebene Effekt eintritt?
Daniel Bartel: Ja genau, das ist natürlich auch das nächste. Genau, wichtiger Punkt. Die Städte sind da, meiner Meinung nach, sehr streng wenn es um die Genehmigung solcher Parkplätze geht. Es gibt ja die stationären Systeme wie Flinkster, Stadtmobil und eben diese free-floating Systeme wie car2go, die eben überall parken können - sogar zum Teil in Sonderzonen. Und ja, das ist eine Verhandlungssache mit der Stadt und mit der Stadtentwicklung. In die Zukunft blickend, muss man den gesunden Menschenverstand anwenden und sehen, wie das Ganze am Ende funktioniert.
Oliver Kienzler: Wie wichtig ist „Convenience“ als Erfolgsfaktor aus deiner Sicht damit das Car-Sharing einfach und intuitiv funktioniert.
Daniel Bartel: Convenience ist meiner Meinung fundamental, vor allem bei privaten Car-Sharing Unternehmen. Ich denke da kann man auch noch einiges rausholen. Worum es wirklich geht, ist, diese Absprache und diesen Austausch zu vereinfachen. Ich glaube generell ist Convenience in allen Bereichen super wichtig. Es gilt für alle Produkte und Dienstleistungen. Je einfacher sie sind, umso eher kaufe ich sie oder nutze ich sie. Das ist ganz normal und ein ganz logischer Effekt. Die Menschen gehen dahin wo es am einfachsten, am effizienz-getriebensten ist und wo die Hürden am niedrigsten sind. Von daher muss das Unternehmen so einfach denken wie möglich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese moovel-Aktion mit dem car2go Konto auflösen und moovel Konto einrichten, dass das nicht ohne Schwund von Kunden abläuft. Ich vermute, dass sich da sicher 30 - 40% der Kunden abgeschreckt gefühlt haben. Man bedenke alleine dieses SEPA-Verfahren. Ich meine, jedes Unternehmen schafft es SEPA einzuführen ohne dass ich eine Unterschrift leisten muss. Und car2go hat aufgrund der Prozesse, der Unerfahrenheit und vielleicht der Sicherheit die sie haben wollen, auf die Unterschrift bestanden. Das musste man einfaxen. Ich habe kein Faxgerät. Das ist eine solche Nuance, bei der ich als early-adopter vielleicht geduldig bin aber ich denke da verliert man an Image und auch an aktiven Nutzern. Man muss auch jedes Jahr den Führerschein vorzeigen und dafür in einen car2go-Laden rennen. Das macht heute keiner mehr. Die Unternehmen müssen den Kunden näherkommen, was sie zum Teil auch tun. Aber eben noch nicht genug. Es gibt auch genug Beispiele vom privaten Car-Sharing, wo es einfach noch nicht einfach genug ist.
Oliver Kienzler: Besteht aus deiner Sicht die Gefahr, dass man durch den Einsatz von Applikationen, Smartphones usw. ältere Kundengruppen ausschließt, die weniger IT-affin sind?
Daniel Bartel: Ja und deswegen muss ich verschiedene Kanäle ermöglichen. Aber da das ganze ja grundsätzliche eher visuell basiert ist, mit Bewertungen usw. ist das schon alles ein Online/Internet Thema. Wir haben zum Glück so eine Art Leapfrogging oder Generationensprung. Man merkt, dass Leute früher nicht so PC und Internet affin waren, sich nun aber doch ein Smartphone oder Tablet gekauft haben, bei denen die Bedienung einfacher wurde. Dadurch schwinden natürlich diese Hemmungen immer mehr, bis hin zu dem Schritt dass man online bezahlt.
Oliver Kienzler: Wie könnte deiner Meinung nach das Car-Sharing weiterentwickelt werden, um zukünftig eine noch wichtigere Rolle als Transportmittel einzunehmen?
Daniel Bartel: Also die Frage ist vielleicht nach verschiedenen Fahrzeugtypen. Es wäre ja z.B. cool wenn ich bei car2go auch einen Transporter mieten könnte. Das geht heute noch nicht. Anschließend kann eine Art Marke entwickelt werden, mit car2share ist das ja der Versuch. car2share versteht das als System, bei welchem verschiedene Nutzentypen angesprochen werden. Wenn ich auf Arbeit bin, benutze ich z.B. den car2share work, am Wochenende nutze ich den living und wenn ich weiter weg fahren möchte, nutze ich den private, weil das günstiger ist. Das weiter zu integrieren und viel stärker zu fördern, das wäre eine intelligente Möglichkeit. Was gut wäre ist, wenn man eine Karte für verschiedene Mobilitätsträger hätte. In Stuttgart ist die Mobilitätskarte zum Beispiel ganz cool. Das ist auch wieder im Sinne von Vereinfachungen für den Nutzer. Vielleicht auch etwas, so dass man zwischen Städten fahren kann. Zumindest zwischen kleineren Städten damit man noch ein bisschen weiterkommt. Eine weitere Möglichkeit wären one-way Systeme. Beim free-floating ist es ja schon so aber nur in einem gewissen Radius. Beim normalen Car-Sharing musst du das Auto wieder an die Station zurück bringen. Vielleicht kann man da noch etwas verbessern.
Daniel Bartel setzt sich sehr intensiv mit der Sharing Economy und Geschäftsmodellen auseinander. 2011 gründete er das Online-Magazin kokonsum.org (mittlerweile OuiShare.net) mit dem er über die Vorteile des Teilens in Deutschland berichtet. Zwischen 2011 und 2013 arbeitete er für die private Car-Sharing Plattform Autonetzer.de.
Oliver Kienzler: Zum Einstieg möchte ich die Frage stellen wieso Unternehmen aus deiner Sicht Geld in Sharing-Economy Geschäftsmodelle investieren?
Daniel Bartel: Es gibt natürlich mehrere Gründe. Die Sharing Economy boomt durch das Internet. Das Thema ist nicht neu, es gab es schon immer. Durch das Internet wird die Sharing Economy aber erst so richtig massentauglich. Leute vertrauen sich untereinander und sie vertrauen auch Fremden. Sowohl das Internet, als auch das neu entstandene Vertrauen im Internet und die Online-Bezahlsysteme ermöglichen ganz neue Geschäftsmodelle. Unternehmen wollen den Anschluss natürlich nicht verlieren da die Sharing-Economy in bestimmten Bereichen unumgänglich ist. Ein Beispiel ist das Peer-to-Peer Sharing Modell bei dem es darum geht, dass Verbraucher untereinander ihre Sachen verleihen oder vermieten. Unternehmen haben hier natürlich Angst zu kurz zu kommen. Deswegen ist es durchaus wichtig, dass sich die Unternehmen engagieren und entsprechend ihrer verschiedenen Möglichkeiten aktiv sind.
Oliver Kienzler: Denkst du, dass dieses Engagement der Unternehmen sich zukünftig eher noch steigern wird – siehst du Zukunftspotenzial bei diesem Trend, oder ist es vielleicht nur ein Medienhype?
Daniel Bartel: Nein, ich glaube schon, dass sich das Engagement der Unternehmen in Zukunft noch steigern wird. Vor zwei Wochen haben wir in Frankreich die größte Finanzierung in ein Start-Up Unternehmen erlebt, die es jemals gab. Das waren über 100 Mio. Dollar für eine Sharing-Economy Plattform. Diese Plattform „BlaBlaCar“ ist die größte Konkurrenz zu Mitfahrgelegenheit.de. Daran sieht man, dass genau wie in Airbnb viel Geld investiert wird. Google interessiert sich für die Sharing Economy sehr und wenn es Google tut, dann werden andere Unternehmen die Sharing Economy auch weiterhin aktiv unterstützen.
Oliver Kienzler: Welche potenziellen Auswirkungen der Sharing Economy siehst du für das klassische Kerngeschäft, im Sinne der Entwicklung, Herstellung und dem Verkauf von Autos?
Daniel Bartel: Dort wo die Sharing Economy immer populärer wird, wird auch immer deutlicher, dass der Sympathiewert eines eigenen Autos stetig sinkt. Genau hier wird es immer wichtiger, dass man andere Absatzmärkte findet. Zum Beispiel nimmt die Anzahl der Leasingfahrzeuge Ausland immer weiter zu. Was also Fahrzeughersteller in Zukunft immer mehr und mehr machen werden, ist, dass sie Car-Sharing schon in das Auto ab dem Werk integrieren werden. In den USA wird aus dieser „Zukunft“ schon Realität. GM (General Motors) beispielsweise hat vor zwei Jahren ein Integrationsprojekt gestartet. Auf Knopfdruck wird das Auto automatisch zum Car-Sharing freigegeben. Das ist ein exzellentes Beispiel für andere Unternehmen um genau so umdenken zu lernen. Sie müssen sich überlegen welchen Service und Leistungen sie zusätzlich anbieten können. In diesem Fall betrifft das natürlich das Produkt und den Service auf einmal. Es geht über den Verkauf des Produktes hinaus. Unternehmen müssen sich die Frage stellen, was man mit einem Auto eigentlich machen kann. Die Leute haben natürlich einen Bedarf von A nach B zu kommen und Individualverkehr zu genießen. Die beste und günstigste Lösung wird natürlich bevorzugt. Wenn ein Google-Auto von alleine fährt, ich nebenbei arbeiten kann und es kostet mich nicht viel, dann brauche ich kein eigenes Auto mehr. Diese Entwicklung wird immer mehr und mehr kommen und Unternehmen können sich mit den verschiedensten Möglichkeiten jetzt schon darauf einstellen. Wie schon erwähnt, wenn frühzeitig in Plattformen investiert wird, kann der Automobilhersteller das Auto „sharable“, also teilbar machen. Zusätzlich können sie Versicherungsprodukte oder auch Abrechnungssysteme im Bundle anbieten. Einer Marke wie z.B. Mercedes können diese Dienstleistungen eine Art Trust-Symbol geben, die zeigt, dass diese Autos im privaten Car-Sharing zuverlässig sind. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten für Unternehmen jetzt umdenken zu lernen, über die reine Produktion von Autos hinaus.
Oliver Kienzler: Du hast jetzt verschiedene Möglichkeiten angesprochen, wie die Hersteller reagieren können. Welches sind aus deiner Sicht die besonders Relevanten?
Daniel Bartel: Zunächst muss eine Art Betriebsplattform geschafft werden. car2go macht das schon ein bisschen oder auch car2go black oder moovel. moovel gilt als Dach des Ganzen. So eine Art Plattform zu haben ist essenziell wenn man verschiedene Mobilitätsvarianten mit verschiedenen Charakteren anbietet. In Hamburg gibt es dieses car2share in den Varianten work, living und private. Man sollte sich von Anfang an als umfassende Plattform aufstellen. Als nächstes ist es wichtig, sich generell zu überlegen, wie man das Thema Mobilität neu verstehen kann. An sich ist das Auto doch nur ein Gegenstand? Und wie kann vielleicht das Auto anders produziert werden? Zum Beispiel mit Hilfe eines kollaborativen Ansatzes, Co-Innovation Ansätzen, Co-Creation Ansätzen, 3D-Drucken uvm. Vielleicht können Leute ja irgendwann die Autos selbst zusammenbauen. Das wäre vielleicht schon ein Trend der dazu führt, dass Autos mehr verkauft werden.
Oliver Kienzler: Also kannst du dir auch vorstellen, dass die Endkunden durch die Sharing-Economy immer mehr im Produktentstehungsprozess mit eingebunden werden?
Daniel Bartel: Auf jeden Fall! Gerade private Car-Sharing Unternehmen, z.B. bei Autonetzer.de, haben viele von Privatpersonen Autos ausgeliehen weil sie Testfahrten machen wollten. Das ist ein wichtiger Aspekt, dass man so die vielfältigsten Fahrzeuge mit verschiedensten Lebensdauern testen kann. Es ist sicher auch eine Möglichkeit sich zu engagieren.
Oliver Kienzler: Man kann ja in der Praxis beobachten, dass z.B. Daimler sich sehr viele Gedanken zu dem Thema macht. Andere Konzerne, wie z.B. Audi sagt, wir distanzieren uns vom Car-Sharing und machen kein eigenes Car-Sharing. Was denkst du, wie bedeutsam es in Zukunft für die Hersteller sein wird, sich darauf einzustellen? Kann man in Zukunft nur noch Erfolg haben wenn man sich mit der Sharing Economy aktiv auseinandersetzt?
Daniel Bartel: Das glaube ich nicht, zumindest mittelfristig nicht. Jedes Unternehmen hat auch seine Grenzen. Car2go und DriveNow sind bewusst nur in drei, vier, fünf Städten in Deutschland aktiv weil sie diese entsprechenden Auslastungen brauchen. Natürlich steigert man sich mit der Zeit. Umso bekannter man wird, umso mehr steigert das die Nachfrage. Und irgendwann wird es dann auch so sein, dass die kleineren Städte vermutlich Car-Sharing einführen können, wo es sowieso schon Player am Markt gibt. In den kleinen Dörfern und auf dem Land werden die Menschen ihre privaten Autos weiterhin besitzen, das steht nicht zur Debatte. Sie brauchen das Auto weil sie jeden Tag damit fahren. Da ist es relativ schwierig das Auto zu leihen und zu verleihen. Hier wäre vielleicht dann privates Car-Sharing eher eine Option.
Oliver Kienzler: Wie schätzt du die Gefahr ein, dass durch die Einführung von eigenen Car-Sharing Angeboten eine Kannibalisierung des Kerngeschäfts der Automobilhersteller erfolgt?
Daniel Bartel: Ja klar, das wird passieren und ist aus meiner Sicht aber auch normal. Jedes Unternehmen muss sich kannibalisieren um weiter zu leben. Sehen wir uns Apple an, oder zum Teil auch Windows. Diese Firmen mussten das Kerngeschäft zerstören, damit sie weiter gekommen sind. Ansonsten werden Unternehmen in zwanzig Jahren nicht mehr existieren.
Oliver Kienzler: Welche Geschäftsmodelle sind aus deiner Sicht zu unterscheiden?
Daniel Bartel: Es gibt verschiedene Einteilungsmöglichkeiten. Eine Studie von Frost & Sullivan aus 2012 hat diese Möglichkeiten am besten geplottet. Ich kann das nur schwer wiedergeben. Aber es gibt, wenn man es nach dem Nutzerbedarf macht, kleine Reichweiten bis hohe Reichweiten versus Professionalität. Dann hat man z.B. Taxis oder Mitfahrgelegenheiten als Car-Sharing im weitesten Sinne. Man hat das Car-to-go und seine Kurzstreckenausleihen. Und man hat zum Beispiel professionelle Taxianbieter. Andere, oben rechts im Quadranten sind Autonetzer, die als pivate Car-Sharing Organisation fungieren. Diese haben natürlich eine geringe Professionalität, aber eben eine lange Reichweite. Genau so kann man meiner Meinung nach in B2B, B2C und P2P Car-Sharing einteilen. Beispiele für B2C sind klar: car2go, Flinkster usw. P2P Sharing ist das Teilen von Person-to-Person, also das private Car-Sharing. Dann gibt es B2B: Leasingflotten werden angeboten, die man aber auch liquide machen kann indem man sie als Fahrzeugpool am Wochenende privat zur Verfügung stellt. Wieso soll denn der Fuhrpark eines Handwerkers am Wochenende still stehen? Warum kann man den nicht für Privatpersonen freigeben? Das sind neue Möglichkeiten. Und letztendlich auch, was ganz cool aber was aber, glaube ich, noch komplett unerforscht ist, ist C2B. Private Konsumenten leihen ihre Fahrzeuge an Geschäftsleute.
Oliver Kienzler: Wo siehst du Gemeinsamkeiten zwischen allen Geschäftsmodellen?
Daniel Bartel: Was alle Geschäftsmodelle gemeinsam haben ist, dass man immer eine Plattform benötigt. Ein Netzwerk, eine Website, einen Telefonservice und/oder ein Abrechnungssystem. Man braucht immer wieder diese Plattform auf der Angebot und Nachfrage zusammentrifft. Außerdem findet man die minutengenaue und leistungsbasierte Abrechnung bei allen Anbietern, das sogenannte „pay as you go.“ Das ist die Bezahlung wenn du fährst, ansonsten hast du aus Endnutzersicht aber nur geringe Fixkosten. Genau das ist auch ein typisches Merkmal aller Geschäftsmodelle: Geringe Fixkosten. Das sind die zwei wesentlichen Gemeinsamkeiten. Darüber hinaus braucht man natürlich auch ein Auto mit vier Rädern, klar.
Oliver Kienzler: Welche Unterschiede bestehen aus deiner Sicht zwischen den Geschäftsmodellen?
Daniel Bartel: Erstens: Wer betreibt die Plattform? Ist es ein Start-up, ist es ein Unternehmen, ist es ein Automobilhersteller oder ein Dritter? Wenn Google jetzt mit seinen Self-driving Cars einsteigt, dann ist Google der Internetanbieter, der diese Plattform zur Verfügung stellt. Das ist ein massiver Unterschied. Weiterhin unterscheidet sich das Interesse: Was will der Anbieter eigentlich? Ein privater Car-Sharing Anbieter ist glücklich wenn er ein paar Euro verdient wenn er sein Auto ein paar Mal verleihen kann so dass es nicht rostet und er etwas Gutes damit tut. Im Gegenteil dazu sind Konzerne natürlich auf die Gewinnmaximierung bedacht. Oder sogar darauf, dass du natürlich verschiedene Autos nutzt und brauchst. Das heißt z.B. dass du als Hersteller Autos produzierst und durch das Car-Sharing für dich selbst einen neuen Absatzmarkt findest. Smart hätte sicherlich letztes Jahr 15.000 Autos weniger produziert hätte es nicht car2go bzw. Car-Sharing gegeben. Es ist natürlich auch Marketing und die ideale Promotion. Bei VW sagt man manchmal, dass es eher eine Werbeplattform ist um die VW Autos zu promoten. Bei car2go kann man das Gleiche sagen. Und genauso gibt es Gerüchte – ich kenne die Quellen nicht – dass manche Automobilhersteller mit so kleinen Autos wie dem Smart mit Car-Sharing unter gewisse CO2 Ausstoßlimits kommen. Wenn man solche Angebote einführt, umgeht man als Automobilkonzern Strafen. Letztendlich ist die Frage wo das Geld landet. Beim privaten Car-Sharing ist es so, dass der private Anbieter sicher am meisten Geld verdient.
Oliver Kienzler: Wenn man die unterschiedlichen Geschäftsmodelle gegenüberstellt, sprechen aus deiner Sicht alle Modelle dieselben Zielgruppen an oder bestehen hier Unterschiede?
Daniel Bartel: Ja, es sind verschiedene Zielgruppen. Die Frage ist: Was will ich? Brauche ich ein zuverlässiges Auto, ein Neues, das auch sauber ist? Oder reicht auch eine „Klapperkiste“? Es kommt also immer auf den Nutzer an und was für ein Typ er oder sie ist. Nicht jeder will einen Smart fahren, nicht jeder braucht eine Limousine. Das ist der eine Faktor. Der andere Faktor ist natürlich die Nutzungsart. Sprich, brauche ich das Auto für einen Kurztrip, für eine größere Strecke, für einen längeren Trip? Brauche ich das Auto one-way oder muss ich es irgendwo abstellen können? Das sind alles Faktoren, die dabei eine Rolle spielen.
Oliver Kienzler: Wie stark würdest du die Wettbewerbsintensität zwischen verschiedenen Car-Sharing Modellen einschätzen?
Daniel Bartel: Beim privaten Car-Sharing wie z.B. bei Autonetzer.de werde ich immer gefragt: “Ja Daniel, ihr seid doch Konkurrent von car2go?”. Da sage ich dann „Nein, wir ergänzen uns super“ weil car2go macht nur Ausleihen zwischen 10 Minuten und 2 Stunden. Und wir leihen zwischen 1 und 3 Tagen aus. Das heißt, wir haben eine komplett andere Zielgruppe und andere „Nutzungscases“. Bei uns fährt man das Auto länger als bei car2go. In dieser Hinsicht sind wir eigentlich gar keine Wettbewerber. Da sind wir, als privates Car-Sharing Unternehmen, eher Wettbewerber zu Mietwagenfirmen. Sie melden sich dann bei uns und sagen, dass das Angebot von privaten Fahrzeugen per Rechtslage nicht zulässig sei. Meiner Meinung nach gibt es hier mehr Synergieeffekte. Es ist dann eine größere Auswahl vorhanden. Das ermöglicht den Konsumenten das Richtige für sich auszuwählen. Und ja, die Bahn ist auch Wettbewerber von Car-Sharing oder Busunternehmen, das muss man ja auch sagen. In diesem Fall ist sogar ein Wettbewerber. Es gibt immer ein bisschen Konkurrenz, aber bisher ergänzt sich das eher noch. Es ist ja auch die Studie bekannt, dass Car-Sharing Nutzer, klassisches Car-Sharing in dem Fall, eher noch mehr ÖPNV fahren, als vorher. Auch wenn sie ein eigenes Auto hätten. Das ergänzt sich dann auch wieder.
Oliver Kienzler: Die Peer-to-Peer Anbieter gab es ja schon bevor die großen Car-Sharing Anbieter auf den Markt kamen. Inwiefern denkst du, haben diese Anbieter die neue Konkurrenz im Hinblick auf die Kundenakquise durch den Markteintritt der Konzerne zu spüren bekommen?
Daniel Bartel: Also ich glaube das ist wirklich eher andersrum. Ich glaube das hat das eher beflügelt. Car-Sharing war damals noch sehr unbekannt und ist inzwischen ein fester Begriff dank car2go und den anderen Anbietern. Und wir (Autonetzer.de) haben das zu der Zeit als ich dort war (2011 bis Anfang 2013) nicht gemerkt, eher im Gegenteil. Das hat es eher gefördert.
Oliver Kienzler: Jetzt würden mich deine Erfahrungen beim Aufbau von Autonetzer.de interessieren. Wie würdest du das Geschäftsmodell beschreiben?
Daniel Bartel: Autonetzer ist ein provisionsbasiertes Geschäftsmodell. D. h. wir sind eine Internetplattform. „Multi-sided business“ nennen wir uns auch. Im Business Model Canvas haben wir zwei Kundensegmente. Das eine ist das Kundensegment der Vermieter und das andere ist das Kundensegment der Mieter. Auf der anderen Seite haben wir Partner. In diesem Fall ist das die Versicherung, die uns die Autos versichert, damit wir die Ausleihen abgesichert haben. In der Mitte ist dann eben die Value Proposition, der Mehrwert den wir beide auf der Plattform zusammenbringen. Wir kümmern uns u.a. um den Zahlungsverkehr, den Versicherungsschutz, den Service und die Absprache der Leute. Mieter und Vermieter treffen sich bei uns auf der Plattform. Es wird online vorab gezahlt und wenn alles glatt gelaufen ist, bekommt der Vermieter sein Geld. Wir behalten eine kleine Provision, früher waren es 15%, ein, d. h. es ist ein provisionsbasiertes Geschäftsmodell.
Oliver Kienzler: Was sind aus deiner Sicht wesentliche Chancen von Autonetzer bei der Einführung eines Car-Sharing Geschäftsmodells?
Daniel Bartel: Erstmals muss man ja unterscheiden: Was für Markt hat man? Beim klassischen Car-Sharing hat man den Endkunden, den Fahrer, der fahren will. Beim privaten Car-Sharing haben wir ein zweiseitiges Geschäftsmodell, bei dem wir zwei Kundensegmente separat ansprechen müssen. Hier hat man doppelseitiges Marketing. Das ist eine Herausforderung. Man muss sowohl Mieter als auch Vermieter überzeugen, dass die Plattform funktioniert. Und nur wenn die Interaktion zu Stande kommt und das auch erfolgreich, d. h. wenn ich jetzt ein Auto anfrage und ich suche auf der Plattform und finde fünf Autos, dann macht das Sinn. Wenn ich z.B. in Esslingen bin wo es zunächst kein Auto war, dann sage ich natürlich: „Car-Sharing bringt mir nichts“. In diesem Fall ist es als privates Car-Sharing super wichtig, dass man zwei Seiten aufbaut, was eben genau die Herausforderung ist. Die Chance bei einem privaten Car-Sharing ist, dass wir ja keine Assets haben. Uns gehören keine Autos. Während die anderen Millionen Euro in den Fuhrpark investieren haben wir hier keine Kosten, null. Und ja, das ist ein riesen Vorteil, eine riesen Chance. Du kannst dich also komplett auf das Marketing, auf die Rivalitäten und auf die Plattform konzentrieren. Du musst nicht erst die Autos bauen, umbauen oder dergleichen. Die Chancen sind auch hier, Autonetzer war oder ist in über 400 Städten aktiv. Das ist natürlich das knapp hundertfache von Daimler, die mit car2go in ein paar mehr als fünf Städten sind, wir aber in 400 Städten. Das ist natürlich ein gewaltiger Unterschied. In jeder kleineren Stadt sind wir mittelgroße Anbieter aktiv und das ist natürlich super wertvoll.
Oliver Kienzler: Wenn ich dich richtig verstanden habe, siehst du als eine Chance, dass man als privater Anbieter wie Autonetzer keinen eigenen Fuhrpark hat und insofern nicht diese enormen Investitionen notwendig sind.
Daniel Bartel: Genau, wenn Daimler in eine neue Stadt will haben sie natürlich riesige Investitionen für Autos, Ladestationen, Parkplätze, Verwaltungsgenehmigungen usw. Das haben wir alles nicht.
Oliver Kienzler: Siehst du abgesehen davon noch weitere Chancen, die private Anbieter wie Autonetzer haben und kommerzielle Anbieter, wie z.B. car2go, nicht, oder umgekehrt?
Daniel Bartel: Klar, wir (Autonetzer) sind bzw. waren ein Start-up. Ein Start-up arbeitet ganz anders als ein Unternehmen. Das ist auch das, was ich in meiner täglichen Arbeit predige. Was wir machen ist disruptive Innovation, wir suchen nach einem skalierbaren Geschäftsmodell, das erfolgreich ist. Ein Unternehmen kann nur ausführen und Effizienz optimieren. Das sind deren Gene. Und wenn ich seit 100 Jahren Automobilhersteller bin, also Autos baue, dann tue ich mich schon schwer in neue Märkte reinzugehen. Vor allem mit den bestehenden Mitarbeitern. Car2go ist ein gutes Beispiel, dass es funktioniert. Aber es gibt da sehr viele Hürden im Konzern und in der Denkweise der Menschen. 2011 haben die Leute noch gesagt, privates Car-Sharing sei Schwachsinn oder Unfug. Heute ist es eine ernsthafte Option. Das ist einfach das Risiko, das ein Entrepreneur tragen will, kann und tut. Das kann ein Konzern nicht unbedingt tragen.
Oliver Kienzler: Welchen kritischen Punkten und Herausforderungen bist du bzw. sind deine Kollegen während des Aufbaus von Autonetzer begegnet?
Daniel Bartel: Als die größte Herausforderung am Anfang bestand darin eine Versicherungslösung zu finden, die das ganze absichert. Ansonsten ist es in Deutschland eine ziemlich blöde Situation wenn du ein Auto für Geld an jemand anderes leihst oder verleihst. Dann ist es nämlich nicht versichert. Oder wenn du es unentgeltlich an Freunde oder Bekannte verleihst, dann geht selbstverständlich die Schadenfreiheitsklasse nach oben. Nehmen wir an, ich leihe mir dein Auto und du sagst „mach es bitte nicht kaputt“ aber es passiert trotzdem was. Klar deine Versicherung zahlt das aber deine Schadenfreiheitsklasse leidet darunter. Für dieses Problem einen Partner zu finden war eigentlich die größte Herausforderung. Es war schwierig, ein Versicherungsunternehmen zu überzeugen, dass das Geschäftsmodell mit uns Sinn macht, die dieses Experiment mit uns ausprobiert und ein Produkt für uns entwickelt, das wir das flexibel nutzen können. Das war der größte Punkt. Der zweitgrößte Punkt war vermutlich auch, klar, die Reichweite zu erzeugen. Wie gesagt, ein zweiseitiges Geschäftsmodell aufzuziehen, ist kein Zuckerschlecken, weil du doppelt so viel Aufwand hast. Im Marketing, in der Entwicklung und in der Kundenansprache. Mit Reichweite meine ich Bekanntheitsgrad bzw. die Erzielung einer kritischen Masse.
Oliver Kienzler: Wie habt ihr die Herausforderung mit dem Versicherungsschutz gelöst?
Daniel Bartel: Wir haben dann mit verschiedenen Versicherungsunternehmen gesprochen. Am Ende war es dann die R&V-Versicherung, die innovativ sein wollte und ebenso ein Produkt angeboten hat. Das ist ein Rahmenvertrag, der die Fahrzeuge immer dann versichert, wenn sie ausgeliehen werden. Pro Auslieferung muss der Mieter eine Versicherungssumme zahlen. Das sind 4,90 Euro am Tag. Wenn man den Selbstbehalt auf rund 100 Euro reduzieren möchte, dann zahlt man z.B. 1 Euro mehr. Das ganze wird dann aktiviert und das Auto ist dann automatisch versichert. Im Schadensfall kümmert sich die R&V um die Abwicklung, d. h. sie prüft ob die Ausleihe rechtmäßig war, ob der Zeitraum eingehalten wurde, wo der Unfall geschehen ist und dann kümmern sie sich um alles weitere. Dann gibt es einen Ausgleichsvorgang mit der Buchungsnummer. Wir überweisen am Monatsende die Versicherungsprovision an R&V. So war das der Stand in 2012.
Oliver Kienzler: Gerade bei eurem Peer-to-Peer Geschäftsmodell entstehen Interaktionen zwischen Plattform und Vermietern, zwischen Plattform und Mietern und aber auch zwischen Vermieter und Mieter. Welche Interaktionen finden da statt?
Daniel Bartel: Ja das sind natürlich diese Service-Touchpoints. Du musst das dann getrennt sehen. Da gibt’s auch eine schöne Studie aus 2012: Zwei Schweden haben eine super schöne Infografik gemacht mit Touchpoints für privates Car-Sharing. Ja klar, der Kunde hat einen konkreten Bedarf. Auf der einen Seite sein Auto einzustellen und sein Auto auszulasten oder sogar zu verkaufen. Auf der anderen Seite besteht ein Bedarf ein Auto zu mieten. Das dauert jetzt sicher 20 Minuten wenn ich die ganzen Touchpoints erzähle. Im Endeffekt geht es darum, dass sich die Leute auf der Plattform treffen, eine Anbahnung und eine Suchanfrage stattfindet, der Vermieter nimmt an, lehnt ab oder verändert den Zeitraum. Wenn er widerspricht, kann ich das Fahrzeug zu dem Zeitpunkt nicht verleihen. Zu einem anderen Zeitpunkt ist das aber möglich. Nun akzeptiert der Mieter das Ganze und bezahlt anschließend. Er bezahlt die Gesamtsumme, Kilometer, Grundpreis, Tagespreis und Versicherung online vorab. Beide bekommen ihr Buchungsprotokoll welches die Autoverleihung dokumentiert. Bestehende Schäden werden vorab fest gehalten. Die Schlüsselübergabe erfolgt, wo sich die Leute treffen, unterschreiben und dann wird das Auto ausgeliehen. Am Ende erfolgt die Rückgabe des Autos an den Vermieter, das Versicherungsprotokoll wird wieder zweifach unterschrieben. Anschließend werden beide noch aufgefordert, die Ausleihung zu bewerten. Das ist auch was ganz anderes als bei einem normalen Car-Sharing Unternehmen. Klar haben die Car-Sharing Unternehmen auch eine Bewertung wie sauber das Auto ist. Aber beim privaten Car-Sharing ist der Vertrauensfaktor ganz weit oben und daher ist es natürlich ganz, ganz wichtig, dass sich die Leute untereinander bewerten. Also sprich, war das Auto sauber? Waren Vermieter und Mieter pünktlich beim abgesprochenen Verleihort? Solche Sachen einfach, ja.
Oliver Kienzler: Okay. Stellt dann so ein Vertrauenssystem auch ein Erfolgsfaktor für Car-Sharing dar?
Daniel Bartel: Ja. Genau das kann man noch hinzufügen. Das ist ein wichtiger Erfolgsfaktor. Das deine Plattform entsprechendes Vertrauen schafft. Im Sinne von der Community, von den Bewertungen aber auch im Sinne von Service. Also wir (Autonetzer) hatten auch einen sehr guten Service.
Oliver Kienzler: Fremde Menschen benutzen beim privaten Car-Sharing die Autos, die sich im Eigentum anderer Menschen befinden. Hast du Erfahrungen gemacht, ob die Menschen mit diesen Autos – die nicht ihr Eigentum sind – besser oder weniger gut umgehen, als wäre es ihr Eigentum?
Daniel Bartel: Das ganze Phänomen nennt sich „Tragedy of the Commons“, also Tragödie des Allgemeinguts. Es ist immer das Problem, dass wenn etwas nicht mir gehört, dann gehe ich damit anders um. Es ist beim privaten Car-Sharing bekannt. Meiner Meinung nach war das eigentlich gar kein Problem. Vermieter und Mieter haben sich physikalisch getroffen. Sie haben sich in die Augen gesehen. Und dann entsteht ein anderes Bewusstsein. Beim klassischen Car-Sharing habe ich schon mehr Probleme. Die Leute über-strapazieren das Auto vielleicht oder gehen einfach nicht achtsam damit um. Es ist schon noch einmal eine andere Sache, ob ich den Vermieter kenne oder nicht. Ja und wenn man vorletzte Woche während der WM auf der Theodor-Heuss-Straße war, konnte man sehen, wie ein car2go Auto umgeworfen und auf das Dach gerollt wurde. Leute sind darauf herum gesprungen. Das Auto hat sicherlich einen Totalschaden. Das ist einfach ein Beispiel dafür, dass eben da was fehlt. Der Respekt vor dem Allgemeingut ist da einfach nicht vorhanden. Oder sehr gering nur ausgeprägt.
Oliver Kienzler: Vorhin haben wir über Herausforderungen für private Anbieter, wie z.B. Autonetzer, gesprochen. Jetzt haben wir eine Herausforderung für kommerzielle Car-Sharing Anbieter gesehen, wie die Kunden möglicherweise schlecht mit den Fahrzeugen umgehen. Was könnten aus deiner Sicht weitere Herausforderungen für die kommerziellen Car-Sharing Anbieter sein?
Daniel Bartel: Naja, also ich bin kein Experte für normales Car-Sharing. Aber ich kann mir schon vorstellen, dass die Hürden u. a. die Sicherstellung der Betriebssicherheit, also Wartung und Pflege der Fahrzeuge sind. Das ist eine logistische Herausforderung, hier effiziente Prozesse zu implementieren. Vermutlich sind die unterschiedlichen Nutzerverständnisse bzw. Nutzerprofile anders zu verstehen und auch entsprechend zu vertreiben. car2go macht auch Werbung offline mit Plakaten. DriveNow hingegen sagt, wir machen nur Online-Werbung, so erreichen wir die Zielgruppe am einfachsten. Da ist jetzt die Frage, was ist besser? Aber ja, die Kundenakquise-Kosten zu amortisieren, das ist eine Herausforderungen. Sagen wir mal, es kostet vielleicht 30 - 40 Euro die Kunden zu akquirieren, aber das gilt für privates Car-Sharing genauso. Dann muss man eben sehen, dass man die entsprechenden Ausleihen auch generiert um diese Akquise-Kosten wieder zu amortisieren. Das ist eine weitere Herausforderung meiner Meinung nach. Ansonsten, ja natürlich die Verwaltung vom Fuhrpark, als normaler klassischer Anbieter. Ich muss Kooperationen schließen, ich muss mich mit Städten arrangieren, mit den Fahrzeugen, mit den Politessen, usw. Und auch mit den Versicherungen. Ich glaube das sind die Herausforderungen eines großen, klassischen Konzerns.
Oliver Kienzler: Du hast gerade das Thema Kooperationen angesprochen. Bezogen auf deine Erfahrungen bei Autonetzer, welche Rolle haben da Kooperationen gespielt?
Daniel Bartel: Ja, es gab auf verschiedenen Ebenen verschiedene Kooperationen. Da sind lose Kooperationen mit Bloggern, mit Medienwebsites, wie z.B. carsharing.de, wo wir vielleicht Werbung schalten. Was wir z.B. auch gemacht haben, ist, dass wir mit Airbnb kooperiert haben. Wir haben mehrere Sachen gemacht, u. a. einen Nutzerabend, bei dem sich Airbnb-Nutzer und Autonetzer-Nutzer getroffen und ausgetauscht haben. Dann ist natürlich eine feste Partnerschaft – ganz wichtig, ohne das geht das Geschäftsmodell nicht – mit der Versicherung essentiell. Das ist eine weitere Kooperation oder eine Partnerschaft. Diese ist sicher am wichtigsten um überhaupt die Funktionsfähigkeit sicherzustellen: Zahlungsanbieter natürlich. Wir müssen natürlich auch Zahlungen abarbeiten. Und nicht zuletzt, als ich noch da war, hatten wir eine Kooperation mit Daimler. Und zwar in der Form, dass wir mit car2go etwas gemacht haben. Wir waren in den car2go Shops mit einem eigenen Stand für das Pilotprojekt „Nutzen statt Besitzen“, die dieses car2share unterstützt haben. Wir (Autonetzer.de) haben die Plattform bereitgestellt für das car2share private.
Oliver Kienzler: Wie hat das konkret ausgesehen?
Daniel Bartel: Konkret ist das eine „white-label“-Lösung. Autonetzer wurde, als Teil dieser car2share-Initiative regebrandet. Das gibt diese Plattform her und zwar unter einem anderen Logo wie z.B. Daimler oder Mercedes-Benz. Das haben wir dann begleitet. Wir haben dafür die IT-Infrastruktur bereitgestellt.
Oliver Kienzler: Welche Rolle haben für Autonetzer Kooperationen mit anderen privaten Car-Sharing Anbietern gespielt?
Daniel Bartel: Eigentlich gar keine. Wobei ich mich immer mit einem sehr gut verstanden habe und eng im Austausch war um ein paar „lessons-learned“ auszutauschen. Aber ansonsten? Was ist in letzter Zeit passiert? Es gab eine Klage des Verbands der Autovermieter (BAV). Sie haben negative Presse gemacht und wollten uns das Betreiben der Plattform verbieten. Die privaten Car-Sharing Anbieter haben hier versucht zu kooperieren. Als es zu dem Zeitpunkt ernst wurde, hatte ich das Unternehmen schon verlassen. Ich kann nicht sagen wie die Kooperation wirklich zu Stande kam. Soviel ich weiß, gab es von Autonetzer auch eine Petition „Wer teilt hat mehr“. Soweit ich weiß sind dort auch ein oder zwei private Car-Sharing Anbieter Mit-Initiatoren dieser Initiative. Es geht aber eher darum zu sagen: „Jeder sollte ein Grundrecht darauf haben, private Güter zu vermieten.“
Oliver Kienzler: Was sind aus deiner Sicht die wichtigsten Erfolgsfaktoren für die Implementierung von Car-Sharing Geschäftsmodellen? Vielleicht zuerst wieder auf Autonetzer, als Peer-to-Peer Geschäftsmodell, bezogen.
Daniel Bartel: Aus meiner Sicht sind die wichtigsten Erfolgsfaktoren, dass man ein entsprechendes Angebot bereit hält, welches für die Leute angenehm, convenient und einfach ist. Also (a) zu den Fahrzeugen zu kommen und (b) diese Fahrzeuge auch zu nutzen und Zugang zu haben. Die Ausleihprozesse müssen wirklich sehr effizient und einfach gehalten sein. Man muss die Kommunikation mit den Kunden herstellen und zwar über Apps, Websites oder via Mobile damit man in ständigem Austausch steht. Das ist die Reichweite durch die man Nutzer bekommt und aktive Nutzer hält. Eine zweite Herausforderung ist sicherlich die Density, also die Auslastungsrate der Fahrzeuge. Weil wenn die Fahrzeuge nicht gefahren werden, dann hat weder der Vermieter noch der Mieter etwas davon. Und wir (Autonetzer.de) haben auch nichts davon. Deswegen müssen die Autos eben auch fahren. Das gilt aber auch ganz besonders für die normalen Car-Sharing Anbieter. Bei uns heißt das einfach nur, dass die Leute wiederkehren und das Auto nochmal ausleihen. Ja, das ist auch ein wichtiger Erfolgsfaktor. Und das Dritte ist beim privaten Car-Sharing dieses „long-tail“ Denken, d. h. wir sind in den großen Städten unterwegs. Dort haben wir am meisten Autos, in Hamburg und Berlin, aber wir sind eben auch in ganz vielen kleinen Städten unterwegs um dort die Auslastung zu generieren. Also „long-tail“ im Sinne von verschiedenen Fahrzeugen und im Sinne von verschiedenen Regionen um dort damit Geld zu generieren. Das passiert mit verschiedenen Fahrzeugen, Nutzertypen und Kategorien, sodass man dort diese Zielgruppen erreicht und eine maximale Auslastung generiert. Wenn man das schafft, ist es ein Erfolgsfaktor. Das gilt natürlich auch für die Großen im Sinne von Cross-Selling. Wenn jemand zweimal mein Auto nutzt, z.B. bei DriveNow, wird er dann doch vielleicht irgendwann mal so einen Mini oder einen i5 kaufen? Wenn du so willst, ist das ist ja auch ein bezahltes Probefahren. Das sind Erfolgsfaktoren die helfen, die Auslastung zu maximieren.
Oliver Kienzler: Was sind deiner Meinung nach die Erfolgsfaktoren für die Automobilkonzerne, die im Car-Sharing aktiv sind bzw. werden wollen?
Daniel Bartel: Ich glaube es ist verständlich, dass es mehr als nur ein car2go oder ein DriveNow Auto ist, sondern dass es auch darum geht ein Ökosystem zu schaffen. Es geht darum, ein Mobilitätskonzept zu schaffen, mit dem die Leute von A nach B kommen. Es gibt dafür viele Begriffe wie z.B. intermodale Mobilität, oder intermodaler Individualverkehr. Aber es geht um das Verständnis, dass es größer ist, als einfach nur ein Auto hinzustellen und zu schauen dass es einen Parkplatz hat. Dementsprechend ist das Umdenken ein Erfolgsfaktor.
Oliver Kienzler: Welche Rolle spielen aus deiner Perspektive gesetzliche und politische Rahmenbedingungen?
Daniel Bartel: Eine große Rolle. Die Gesetze sind teilweise noch gar nicht geschrieben. Ein Beispiel sind Car-Sharing Parkplätze. Seit Kurzem ist es so, dass sie geschützt sind und man als privater Autonetzer dort nicht parken darf. Früher war das egal. Die Politik muss sich beim privaten Car-Sharing überlegen, inwiefern das Ganze legal ist. Was passiert mit den Einnahmen des Vermieters? Gibt es dafür eine andere Rechtsform oder eine andere Legitimität? Bin ich automatisch Gewerbetreibender nur weil ich ein paar Mal im Jahr mein Auto vermiete? Das sind alles Fragen, welche die Politik klären muss. Zum Beispiel auch, was für die Versteuerung relevant ist. Das sind ganz schwierige Situationen, die im Moment noch nicht gelöst sind. Viele private Sharing-Unternehmen arbeiten daran, das in einem Gesetzesentwurf bzw. in Gesetzesentwürfe zu lenken. Und das ist einfach sehr schwierig. Zusätzlich muss die Politik diesen Wandel der Zeit verstehen. Da muss man sich überlegen wie man die Gesetze so gestaltet, dass sie am Ende funktionieren?
Oliver Kienzler: Wir haben das Thema Parkplatzsituation gestreift. Wie wichtig ist die Parkplatzsituation aus deiner Sicht für die Weiterentwicklung von Car-Sharing?
Daniel Bartel: Car-Sharing ersetzt ja zwischen 8 und 10 Autos und d.h. heißt, man braucht natürlich weniger Autos. Wenn das Auto mehr ausgelastet wird, braucht man natürlich weniger Autos und dann braucht man auch weniger Parkplätze. Das merkt man jetzt schon zum Teil. Es gibt diese Car-Sharing Parkplätze. Klar, es gibt ein paar weniger öffentliche Parkplätze aber ich meine, dass Leute ihre Autos verkaufen oder sich erst gar keins zulegen. Ich glaube, dass es sich dadurch zunehmend entspannen wird. Andererseits gibt es natürlich auch die bestrebenden Geschäftsmodelle, park2gether z.B. von Daimler. Dort werden dann Parkplätze professionell geteilt oder vermietet. Es bleibt abzuwarten wie sich das Ganze dann entwickelt, aber ich sehe das eher entspannt. Es wird, auch mittelfristig, einfacher mit dem Parken.
Oliver Kienzler: Siehst du eine Gefahr, dass wenn es heutzutage noch eine Parkplatznot gibt und sich dann Car-Sharing erst gar nicht so weit entwickeln kann, dass der von dir beschriebene Effekt eintritt?
Daniel Bartel: Ja genau, das ist natürlich auch das nächste. Genau, wichtiger Punkt. Die Städte sind da, meiner Meinung nach, sehr streng wenn es um die Genehmigung solcher Parkplätze geht. Es gibt ja die stationären Systeme wie Flinkster, Stadtmobil und eben diese free-floating Systeme wie car2go, die eben überall parken können - sogar zum Teil in Sonderzonen. Und ja, das ist eine Verhandlungssache mit der Stadt und mit der Stadtentwicklung. In die Zukunft blickend, muss man den gesunden Menschenverstand anwenden und sehen, wie das Ganze am Ende funktioniert.
Oliver Kienzler: Wie wichtig ist „Convenience“ als Erfolgsfaktor aus deiner Sicht damit das Car-Sharing einfach und intuitiv funktioniert.
Daniel Bartel: Convenience ist meiner Meinung fundamental, vor allem bei privaten Car-Sharing Unternehmen. Ich denke da kann man auch noch einiges rausholen. Worum es wirklich geht, ist, diese Absprache und diesen Austausch zu vereinfachen. Ich glaube generell ist Convenience in allen Bereichen super wichtig. Es gilt für alle Produkte und Dienstleistungen. Je einfacher sie sind, umso eher kaufe ich sie oder nutze ich sie. Das ist ganz normal und ein ganz logischer Effekt. Die Menschen gehen dahin wo es am einfachsten, am effizienz-getriebensten ist und wo die Hürden am niedrigsten sind. Von daher muss das Unternehmen so einfach denken wie möglich. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese moovel-Aktion mit dem car2go Konto auflösen und moovel Konto einrichten, dass das nicht ohne Schwund von Kunden abläuft. Ich vermute, dass sich da sicher 30 - 40% der Kunden abgeschreckt gefühlt haben. Man bedenke alleine dieses SEPA-Verfahren. Ich meine, jedes Unternehmen schafft es SEPA einzuführen ohne dass ich eine Unterschrift leisten muss. Und car2go hat aufgrund der Prozesse, der Unerfahrenheit und vielleicht der Sicherheit die sie haben wollen, auf die Unterschrift bestanden. Das musste man einfaxen. Ich habe kein Faxgerät. Das ist eine solche Nuance, bei der ich als early-adopter vielleicht geduldig bin aber ich denke da verliert man an Image und auch an aktiven Nutzern. Man muss auch jedes Jahr den Führerschein vorzeigen und dafür in einen car2go-Laden rennen. Das macht heute keiner mehr. Die Unternehmen müssen den Kunden näherkommen, was sie zum Teil auch tun. Aber eben noch nicht genug. Es gibt auch genug Beispiele vom privaten Car-Sharing, wo es einfach noch nicht einfach genug ist.
Oliver Kienzler: Besteht aus deiner Sicht die Gefahr, dass man durch den Einsatz von Applikationen, Smartphones usw. ältere Kundengruppen ausschließt, die weniger IT-affin sind?
Daniel Bartel: Ja und deswegen muss ich verschiedene Kanäle ermöglichen. Aber da das ganze ja grundsätzliche eher visuell basiert ist, mit Bewertungen usw. ist das schon alles ein Online/Internet Thema. Wir haben zum Glück so eine Art Leapfrogging oder Generationensprung. Man merkt, dass Leute früher nicht so PC und Internet affin waren, sich nun aber doch ein Smartphone oder Tablet gekauft haben, bei denen die Bedienung einfacher wurde. Dadurch schwinden natürlich diese Hemmungen immer mehr, bis hin zu dem Schritt dass man online bezahlt.
Oliver Kienzler: Wie könnte deiner Meinung nach das Car-Sharing weiterentwickelt werden, um zukünftig eine noch wichtigere Rolle als Transportmittel einzunehmen?
Daniel Bartel: Also die Frage ist vielleicht nach verschiedenen Fahrzeugtypen. Es wäre ja z.B. cool wenn ich bei car2go auch einen Transporter mieten könnte. Das geht heute noch nicht. Anschließend kann eine Art Marke entwickelt werden, mit car2share ist das ja der Versuch. car2share versteht das als System, bei welchem verschiedene Nutzentypen angesprochen werden. Wenn ich auf Arbeit bin, benutze ich z.B. den car2share work, am Wochenende nutze ich den living und wenn ich weiter weg fahren möchte, nutze ich den private, weil das günstiger ist. Das weiter zu integrieren und viel stärker zu fördern, das wäre eine intelligente Möglichkeit. Was gut wäre ist, wenn man eine Karte für verschiedene Mobilitätsträger hätte. In Stuttgart ist die Mobilitätskarte zum Beispiel ganz cool. Das ist auch wieder im Sinne von Vereinfachungen für den Nutzer. Vielleicht auch etwas, so dass man zwischen Städten fahren kann. Zumindest zwischen kleineren Städten damit man noch ein bisschen weiterkommt. Eine weitere Möglichkeit wären one-way Systeme. Beim free-floating ist es ja schon so aber nur in einem gewissen Radius. Beim normalen Car-Sharing musst du das Auto wieder an die Station zurück bringen. Vielleicht kann man da noch etwas verbessern.